KW 31/2018 – Stuttgart: Tagblatt-Turm und Tram – Kennzeichen einer modernen Stadt

Guido KorffBild der Woche

Man sagt den Schwaben ja eine gewisse Gemütlichkeit und „Provinzialität“ nach. Vermutlich sind dafür die Sprache, aber sicher auch so traditionelle Phänomene wie die „Kehrwoche“ verantwortlich. Am Denkvermögen mangelt es den Schwaben jedoch nicht – so sind doch rund um Stuttgart eine Reihe bedeutender Erfindungen entstanden und die dortige mittelständische Industrie gehört nach wie vor zu den Konjunkturmotoren unserer Wirtschaft.

Auch mit ihrer Stadtentwicklung im weitesten Sinne fällt die Schwabenmetropole immer wieder positiv auf – mal abgesehen vom Projekt „Stuttgart 21“ – aber das ist ja auch woanders erdacht worden. Die „Stuttgarter Straßenbahnen SSB“ haben es dagegen vollbracht, ihren meterspurigen Straßenbahnbetrieb nicht nur weitgehend vollständig auf eine normalspurige Stadtbahn umzurüsten, sondern damit auch noch einen der höchsten Kostendeckungsgrade deutscher Verkehrsbetriebe (2016: 94,1 %) zu erwirtschaften. Selbst die Tradition kommt dabei nicht zu kurz – immerhin haben die Stuttgarter ihre Zahnradbahn noch!

An dieser Stelle sei aber die aktuelle Anmerkung erlaubt, dass selbst bei diesem leistungsfähigen Verkehrsnetz noch „Luft nach oben“ bleibt: die Nutzung der Bahnen und Busse in dem feinstaubgeplagten Talkessel könnte und müsste durchaus noch intensiver sein! Die Fahrtenzahl pro Einwohner ist zwar überdurchschnittlich, aber vom Freiburger Niveau noch weit entfernt – wobei man aber auch bedenken muss, dass die halbe Stadt vom Automobilbau lebt!

Die Höhepunkte des Stuttgarter Stadtbilds werden außerhalb der Stadt zumeist unter Wert verkauft. Deshalb seien hier beispielhaft die Weißenhofsiedlung am Killesberg (1927, „Neues Bauen“) – direkt neben dem Höhenpark mit seiner dampfenden Parkeisenbahn! – und die Neue Staatsgalerie (1974, Postmoderne) genannt. Zuletzt setzten Daimler und Porsche mit ihren Werksmuseen ebenfalls deutliche Akzente.

In die Zeit der Weißenhofsiedlung fällt auch der hier sichtbare Tagblatt-Turm, dessen Name seine Nutzung als Sitz einer Zeitungsredaktion (bis 1978) verrät. Er entstand 1927/28 ebenfalls im Stil des „Neuen Bauens“ und als erstes deutsches Hochhaus in Sichtbetonbauweise. Das galt seinerzeit als sehr gewagt, während sich die ersten Hochhäuser anderswo durch traditionelle Fassadenverkleidungen bei ihren kleineren Nachbarn anbiederten.

Der Tagblatt-Turm ragt mit seinen 61 m Höhe auch heute noch recht markant aus seiner Umgebung hervor, weil sich Stuttgart mit dem Bau von Hochhäusern deutlich zurückgehalten hat. Das Gebäude steht an der Eberhardstraße, etwas östlich vom oberen Ende der Fußgängerzone.

Das Foto mit der Straßenbahn kann man seit 1969 nicht mehr in dieser Form machen, da die Strecke dem U-Bahn-Bau weichen musste. Seit Oktober 1971 verkehrte sie dann wieder – jetzt unterirdisch – als Verbindung zwischen den Haltestellen „Rathaus“ und „Österreichischer Platz“ (sog. „Tallängslinie“) über das Gleisdreieck an der Torstraße zum Rotebühlplatz. Die zwischenzeitliche Rampe „Wilhelmsbau“ lag aber schon ca. 200 m westlich vom Tagblatt-Turm.

Beiwagen 829 hatte dem Tagblatt-Turm zwei Lebensjahre voraus: Er wurde 1926 beim Hauslieferanten, der Maschinenfabrik Esslingen, gebaut. Die schlichte Karosserieform und das glatte Tonnendach passen gut zum Stil des Hochhauses. Bw 829 und sehr viele seiner Artgenossen in der Serie 801 – 872 (insgesamt 58 Wagen) fielen dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Nach dem Krieg standen Bemühungen zum Erhalt historischer Wagen ebenfalls unter keinem Stern; mehrfach scheiterten Straßenbahnfreunde daran, die ihnen zugesagten Fahrzeuge angemessen unterzubringen. So gibt es heute keinen einsatzfähigen Stuttgarter Beiwagen aus den Vorkriegsjahren mehr; das einzige gerettete Exemplar fand über Kärnten und Hannover in seine Heimat zurück und befindet sich in schlechtem, nicht betriebsfähigem Zustand.

Da können wir uns freuen, dass sich historische Trams und Tagblatt-Turm auch heute noch wenigstens beinahe begegnen könnten, denn die dreischienige Oldtimer-Ringline 21 führt im Tunnel vor dem Hochhaus vorbei. Der Konjunktiv ist aber leider berechtigt, denn die Rundfahrt ist noch für einige Jahre wegen des Neubaus der Station „Staatsgalerie“ unterbrochen. Verantwortlich dafür ist „Stuttgart 21“ – womit sich der Kreis wieder schließt!
-gk- / Foto: Sammlung -gk

KW 30/2018 – Vohwinkel: “Bluescreen” anno dazumal

Guido KorffBild der Woche

Ohne die „Bluescreen“-Technologie wären viele Kino-Hits der letzten Jahre nicht denkbar gewesen. Dabei agieren die Schauspieler in einem Studio und ihre Szenen werden anschließend mit einem zumeist „phantastischen“ Hintergrund hinterlegt. Der Haken dabei: Das Ganze funktioniert nur mit elektronischer Farbaufzeichnung. Die war aber vor hundert Jahren noch lange nicht erfunden.

Im Tal der Wupper posierte die Schwebebahn schon immer als „Hauptdarsteller“ unzähliger Ansichtskarten. Beliebte „Nebendarsteller“ waren dann andere Verkehrsmittel, denn davon gab es im Tal eine reiche Auswahl. Das bekannteste Motiv „spielt“ an der Sonnborner Brücke, wo Eisenbahn und Straßenbahn häufig die Schwebebahn umrahmen. Später kamen dann noch Omnibusse hinzu. Dafür zog als „Special Guest“ in den Anfangsjahren oft noch ein Luftschiff seine Bahn am Himmel. Der unbefangene Betrachter fragte sich dann oft, wie lange der Fotograf wohl auf ein so glückliches Zusammentreffen hat warten müssen. Wo der Film von der „Illusion“ lebt; greift aber auch der Fotograf zur Täuschung.

Eine mögliche Option ist ein künstliches Arrangement: Die Wuppertaler Stadtwerke versammeln Schwebebahn, Straßenbahn und Bus am rechten Platz und alle zusammen warten dann nur noch einen Zug auf der Brücke, denn die Staatsbahn tut sich etwas schwerer mit gestellten Szenen (obwohl es auch dafür Belege gibt). Ein bestimmtes Detail verrät zuverlässig solche Aufnahmen: da die Schwebebahn keine Liniennummer führt, zeigt der Nummernkasten an der Wagenfront die Kursnummer – steht diese auf „0“ handelt es um eine arrangierte Situation.

Statt der hinlänglich bekannten Brückenszene zeigen wir hier mit dem Kaiserplatz in Vohwinkel eine andere Stelle, die bis heute mehrere Verkehrsmittel versammelt. Dabei ist interessant, dass die drei Straßenbahnwagen durchaus echt wirken, während der Schwebebahnzug der Baureihe 00/12 eindeutig aus einem anderen Foto ausgeschnitten und hier einmontiert wurde. Die Schnittkante am Wagenboden ist recht deutlich erkennbar. Vermutlich ist das Bild mit der Schwebebahn am genau gleichen Standort etwas früher oder später entstanden, so dass der montierte Teil trotzdem gut ins Bild passt.

Kniffliger war da wohl die Integration des Fahrwerks. Hier verrät sich die nachträgliche Zugabe u. a. dadurch, dass am Längsträger recht abrupt die Farbe wechselt. Dieser Fehler verwundert etwas, weil wir hier doch ein nachträglich koloriertes Schwarz/Weiß-Foto vor uns haben. Auch die Antriebseinheiten wirken irgendwie grob übermalt. Immerhin sticht der Schwebebahnzug als roter Farbtupfer markant hervor, während die Straßenbahnen alle eine ordentliche Portion Grün abbekommen haben.

Der Wagen der „Kreis Mettmanner Straßenbahn“ (rechts) ist am deutlichsten zu erkennen. Er entstand als Teil der ersten Wagenserie des Betriebs in den Jahren 1909/10, eine Konstruktion des Düsseldorfer Herstellers Carl Weyer & Cie. Die Strecke nach Vohwinkel gehörte 1909 auch gleich zu den ersten Verbindungen, die dieses Mitglied der RWE-Gruppe eröffnet hat. Markant ist bei diesen Wagen vor allem die Fensterfolge. Die Linie W von Mettmann nach Vohwinkel verkehrte bis 1952.

In der Bildmitte wartet auf der Strecke nach Benrath ein kleiner, kantiger Triebwagen von nur 7,85 m Länge. Er gehörte zur zweiten Serie (Nr. 18-69) der für die Bergischen Kleinbahnen beschafften Motorwagen aus den Jahren 1898-1904. Diese Gesellschaft hatte neben ihrem Hauptnetz im Raum Elberfeld hier einen zweiten Teilbetrieb aufgezogen, der von einer neuen Zentrale in Benrath ausgehend am 10. Juli 1899 Vohwinkel erreichte. Beim Übergang der beiden Benrather Linien an die Stadt Düsseldorf am 01. Oktober 1911 verblieben zahlreiche Fahrzeuge beim neuen Eigentümer. Die Linie V verkehrte danach noch bis 1961.

Links dagegen durchfährt ein Solinger Triebwagen die Kurve zur Kaiserstraße, um nach wenigen Metern und einer weiteren Linkskurve seine Endstation am Rathaus zu erreichen. Diese Linie brachte im Januar 1899 das erste elektrische Verkehrsmittel in das damals noch eigenständige Vohwinkel. Der Wagen (Tw 13) gehört zur Erstausstattung der „Solinger Kreisbahn“ von 1898. An der Fensterfolge mit den beiden großen Fenstern erkennt man jedoch, dass er bereits seinen ersten Umbau hinter sich hat, der bei dieser Serie ab 1908 erfolgte. Am 01. Oktober 1958 übernahm hier der Obus die Verkehrsbedienung.

Der Fotograf hätte auch noch ein weiteres Verkehrsmittel auf seine Glasplatte bannen können, aber offensichtlich war es um 1910 – zur Zeit der Aufnahme – (noch) nicht zur Hand: weit und breit kein Automobil zu sehen! So hat der Schienenverkehr die Aufmerksamkeit des Publikums ganz für sich allein. Das wird sich aber bald ändern; da müssen wir nicht mal auf die Erfindung des Tonfilms warten…

-gk- / Foto: Kunstverlag Max Biegel, Elberfeld; Karte verschickt 1927 (Sammlung –gk-)

KW 29/2018 – Neuchâtel: “Stadtrundfahrt” für alle

Guido KorffBild der Woche

Die Straßenbahngleise scheinen planlos in alle Richtungen zu führen, aber die Sache hat System: Im Zentrum von Neuchâtel (dt. Neuenburg) befuhren bis 1964 alle Linien (bis auf Linie 5) eine gemeinsame, eingleisige Ringstrecke von 650m Länge im Gegenuhrzeigersinn. Am Place Pury (nach dem lokalen Wohltäter David de Pur(r)y), direkt am Ufer des Neuenburger Sees, lag die gemeinsame Anfangs- und Endstation. Neben dem schönen (heute noch vorhandenen) Kioskgebäude sehen wir Wagen der Linien 3 und 4, die gerade ihre Pausenzeit abwarten. Weil dieser Ring perfekt die Innenstadt abdeckte, wurde er ganz offiziell “Tour de Ville“ (dt. “Stadtrundfahrt”) genannt.

Da der Ring als Zubringer zur Standseilbahn “Ecluse – Plan” diente, durfte er von Fahrgästen der Linien 3 und 4 kostenlos benutzt werden. Diese Regelung wurde später auch auf die anderen Linien ausgedehnt (geduldet). Wir haben hier also einen Vorläufer der heutigen City-Ringstrecken in US-amerikanischen Großstädten vor uns.

Linie 5, deren Vertreter wir links etwas abseits im Bild sehen, hatte eine eher „kleinbahnmäßige“ Vorgeschichte, weshalb sie bereits außerhalb der eigentlichen Stadt in einer separaten Gleisschleife endete. Da an der Linie 5 aber das größte Depot lag (und liegt), brauchte es die Gleisverbindung zwischen den Schleifen, die von links unten nach rechts oben verläuft.

In der Bildmitte entfernt sich die Strecke der ehemaligen Linie 2 nach Clos-de-Serrières, die hier noch über ein Gleisdreieck an die „Stadtrundfahrt“ angebunden ist. Da sie schon 1940 als erste Linie auf Trolleybus umgestellt wurde, dürfte aber wohl eher der in der Bildmitte geparkte Obus auf die Fahrgäste nach Clos-de-Serrières warten.

Bemerkenswert ist die genannte Endstation durch eine dort angesiedelte Fabrik, in der seit 1826 die bekannte Schokolade der Marke „Suchard“ (seit 1901 „Milka“, die mit der lila Kuh) hergestellt wurde. Sie brachte der Straßenbahn über viele Jahre einen regen Berufsverkehr. Heute kann man an der Stelle reizvolle Industriearchitektur entdecken – auch von Linie 5 nur einen Katzensprung entfernt.

Das Verkehrsnetz in Neuchâtel weist sowohl ebene, als auch steile Streckenabschnitte auf. Als erstes öffentliches Verkehrsmittel der Stadt eröffnete deshalb 1890 eine Standseilbahn in den höher gelegenen Stadtteil „Plan“, anfangs mit Wasserballast betrieben, später elektrifiziert. Straßenbahnen sollten anfangs eher in der Ebene verlaufen; dazu wurde mit Druckluft und Pferdekraft als Antrieb experimentiert. Eine besondere Herausforderung stellte aber die Zufahrt zum hochgelegenen Bahnhof dar, zu dem dann doch 89 Promille zu überwinden waren.

Die als Dampfbahn 1892 eröffnete Verbindung in die Nachbarorte Boudry und Cortaillod richtete auf dem letzten Stück zum Bahnhof deshalb sogar einen kurzen Zahnradbahnbetrieb ein, der sich immerhin 6 Jahre halten konnte. Dessen Ablösung durch elektrische Straßenbahnen ebnete dieser Technologie dann 1898 den Durchbruch im Neuchâteler Stadtverkehr. Zur gleichen Zeit entstand auch der integrierte Verkehrsbetrieb TN (Compagnie des Tramways de Neuchâtel).

Ab 1902 reisten die Fahrgäste auch auf der Vorortlinie elektrisch; die sieben Triebwagen 41 – 47 (im Bild Tw 42 der Serie) prägten das Erscheinungsbild der Strecke bis 1981 – sie wurden also im Einsatz 79 Jahre alt! In den 60er Jahren hatten sie allerdings schon Verstärkung durch gebrauchte, aber gut gepflegte Gelenkwagen aus Genua erhalten, die die Waggonfabrik Breda 1942 (!) produziert hatte. Obwohl typisch italienisch als „Stehwagen“ für 175 Fahrgäste bei nur 33 Sitzplätzen konzipiert, waren sie dennoch für den Berufsverkehr zu klein und ließen damit bis zuletzt Raum für zwei- bis vierteilige Altwagengarnituren.

Nachdem sich 1976 mit SL 3 die letzte innerstädtische Straßenbahn verabschiedet hatte, wurde auch die Linie 5 „vorortbahnmäßig“ modernisiert. Vier Garnituren aus vierachsigen Trieb- und Steuerwagen traten 1980 zur Ablösung der Altwagen an. Gestaltet im zeittypischen kantigen „Schuhkarton“-Design (abgeleitet vom Tram 2000), nähern sie sich mittlerweile auch schon der Pensionsgrenze für Straßenbahnen. Ihr Abschied steht in der Tat kurz bevor, denn mit der Durchbindung der Trogener Bahn in St. Gallen auf die anderen Appenzeller Schmalspurbahnen werden die dort eingesetzten dreiteiligen Stadler-Achtachser frei, die erst zehn bzw. vierzehn Jahre „auf dem Buckel“ haben. Sie sollen vor allem endlich Niederflurkomfort auf die Linie 5 bringen.

Ein baldiger Besuch lohnt sich also; manchmal sogar am Wochenende, denn an einem Sonntag im Monat haben die Museumswagen des örtlichen Vereins ANAT Auslauf und die schicke Museumswagenhalle öffnet ihre Tore. Informationen dazu unter https://museedutram.ch.

-gk- / Foto: (Sammlung –gk-)

KW 28/2018 – Ennepe: Ein Bilderrätsel

Guido KorffBild der Woche

Wo ist nochmal die Wuppertaler Endstelle, an der hier Tw 18 fotografiert wurde? Nein, halt, der Gesellschaftsname stimmt ja gar nicht: Straßenbahngesellschaft Ennepe (SGE). Richtig, das Bild wurde an der Endstelle in Voerde aufgenommen – aber wann? Und warum ist der Wagen so ungewöhnlich lackiert?

Die Frage nach der Farbe lässt sich einfach erklären. Die Fahrzeuge – auch die Omnibusse – der Straßenbahngesellschaft Ennepe trugen damals im Normalfall eine elegante Zweifarblackierung: oben hell-creme, unten dunkelgrün, dazwischen ein schwarzer Trennstreifen. Wenn man alte Bilder durchsieht, kann man vermuten, dass das Farbschema Ende der 20er Jahre eingeführt wurde. Vielleicht kam es 1928 mit den neuen Triebwagen der Serie 12 – 20 ins Tal.

Erst die erste Generation der VÖV-Standard-Linienbusse von Büssing brach mit dieser Tradition. Eine weitere Gewohnheit ging übrigens gleich anschließend zuende: nach dem Verkauf von Hauslieferant Büssing an MAN wurde noch genau ein Bus (119) mit dem kombinierten Markenzeichen geliefert, danach wechselte das Unternehmen für viele Jahre zu Daimler-Benz.

Da in der Zeit des Zweiten Weltkriegs die grüne Farbe wohl nicht in der benötigten Menge nachbeschafft werden könnte, lackierte das Unternehmen seine Wagen für kurze Zeit zwangsläufig durchgehend in einer hellen Farbe (vermutlich das traditionelle Hellbeige der Fensterpartien). Neben Tw 18 waren auch mindestens Tw 22 (einer der beiden Niederflurwagen Tw 21 und 22; dieser mit Trennstreifen) und ein Ex-Liegnitzer Beiwagen mit diesem Farbkleid ausgestattet, vermutlich auch Tw 16. Anfang der 50er Jahre war dann aber rasch wieder das bisherige Erscheinungsbild wiederhergestellt.

Die Gesellschaftsbezeichnung nimmt nicht direkt Bezug auf den Fluss Ennepe, dessen Verlauf die Bahn über weite Teile der Strecke folgte. Weil keine größere Stadt (von Gevelsberg mal abgesehen, das aber damals auch nur 15 Tsd. Einwohner zählte) berührt wurde, orientierte man sich vielmehr an einer Bezeichnung, die das Tal von alters her führte: „Iämpestrote“ (mundartlich für „Ennepestraße“).

Die Bestimmung des Aufnahmezeitpunkts ist besonders knifflig: Die Hilfsschaffnerin in Zivilkleidung deutet zwar auf die Kriegsjahre hin, jedoch fehlen am Triebwagen die äußeren Merkmale der damals vorgeschriebenen Verdunkelung: Scheinwerferblenden und übermalte Fensterscheiben. Nach dem Krieg wurden die „Arbeitsmaiden“ dagegen recht bald von den heimkehrenden männlichen Kollegen wieder verdrängt. Der Reichsarbeitsdienst als Träger der Einsätze wurde schon im Oktober 1945 per Gesetz verboten und aufgelöst. Leider ist keine Werbung zu erkennen, die sonst oft bei der zeitlichen Einordnung hilft. Vielleicht hat die junge Frau den Geldwechsler auch nur zum Spaß umgehängt?

Auch wenn offensichtlich ein Amateur das Bild „geschossen“ hat, strahlt es doch eine gewisse Dynamik aus. Immerhin hebt es sehr schön das Fahrwerk des Wagens hervor, an dem wir z. B. Blattfedern und eine Magnetschienenbremse erkennen können. Wir interessieren uns für diese Details, weil die neun Wagen dieser Bauserie nach der Stilllegung in Ennepetal 1956 mit einigen anderen Fahrzeugen an die Wuppertaler Stadtwerke verkauft wurden und das Erscheinungsbild unserer Museumsstrecke bis zum Ende im Jahre 1969 mit geprägt haben.

Die gesamte Baureihe wurde in Wuppertal modernisiert und u. a. mit den markanten, allseits abgerundeten Führerstandsfenstern versehen. Tw 141 in unserer Sammlung erhielt außerdem eine Megi-Federung aus großen Metall-Gummi-Blöcken, die das Fahrgestell optisch deutlich verändert haben. Tw 136 behielt dagegen sein originales Fahrgestell und verbrachte ebenfalls viele Jahre in unserem Museum, bevor er an den Nachfolger der SGE – die Verkehrsgesellschaft Ennepe-Ruhr – abgegeben wurde, die das Fahrzeug wunderbar restauriert im Foyer ihrer Verwaltung in Ennepetal aufgestellt hat. Dort strahlt er als Tw 15 wieder im traditionellen Grün-Beige.
-gk- / Foto: Sammlung -gk

KW 27/2018 – Nürnberg: Der Plärrer – Sieben auf einen Streich

Guido KorffBild der Woche

Bei unserem heutigen Motiv geht es nicht um die sieben Fliegen aus dem Märchen, sondern um sieben Straßenbahnstrecken, die rund um den sichtbaren Platz – den „Plärrer“ in Nürnberg – zusammentrafen. Vier davon erkennen wir aus der Perspektive unseres Fotografen, drei weitere zweigen wenige Meter außerhalb des Bildes ab. Heute verkehren zwei von diesen Verbindungen noch oberirdisch auf Schienen, die anderen fünf wurden als U-Bahn unter die Erde verlegt.

Der große freie Platz und die eingeschossigen Behelfsbauten links lassen bereits erahnen, dass hier nach dem Zweiten Weltkrieg ein neuer Stadtgrundriss entstehen wird, der dem Automobil beschleunigten Auslauf ermöglichen soll.

Nürnberg war als des „Deutschen Reiches Schatzkästlein“ bis zu den Bombennächten der 40er Jahre die größte deutsche Stadt, deren mittelalterliche Innenstadt noch mit einer weitgehend intakten Stadtmauer – immerhin ca. 5 km lang – umgeben war. Straßenbahnen erreichten zwar die wichtigsten Punkte innerhalb des Mauerrings, eine „Vernetzung“ kam jedoch nicht zustande. Dem standen fehlender Platz und teilweise starke Steigungen entgegen. Daraus ergab sich eine Arbeitsteilung: einige Linien fuhren durch die Stadt, die anderen drumherum.

Unser Fotograf könnte durchaus auf einem Turm der Stadtbefestigung stehen. Vor ihm liegt der Plärrer, einer der beiden wichtigsten Knotenpunkte im Straßenbahnnetz. Unter ihm verlässt die große Innenstadtquerung (Hauptbahnhof – Lorenzkirche – Weißer Turm – Plärrer) die Ludwigstraße, ganz links und rechts hinter dem „Café am Ring“ verläuft die Strecke, die die Altstadt außen umrundet. Die anderen Verbindungen führen nach Gibitzenhof, Schweinau, St. Leonhard (Graf-Adolf-Straße) und Fürth.

Während die Stadtstruktur innerhalb des Mauerrings sorgfältig konserviert und damit der Charme der mittelalterlichen Stadt halbwegs bewahrt wurde, ging man außerhalb dieser Umgrenzung weniger zimperlich vor. Am Plärrer ist ein erstes Zeichen bereits gesetzt: Das Hochhaus der Städtischen werke von 1953 mit seinen honiggelben Platten könnte aus einem Faller-Bausatz entstanden sein; ähnliche Bauten bildeten in vielen deutschen Städten die erste Generation „modernen“ Städtebaus.

Rechts neben dem Hochhaus hatte die erste deutsche Eisenbahn, die Verbindung von Nürnberg nach Fürth, ihren Anfang genommen. Nach der inflationsbedingten Stilllegung 1922 wechselte die Straßenbahn auf deren Bahnkörper über und eröffnete einen Schnellverkehr in die Nachbarstadt. Nach dem Krieg wurde daraus eine neue breite Straßenachse entwickelt, die bald die Bebauung bei dem Haus links (mit der Eszet-Schokoladenwerbung) durchbrechen und sich geradlinig zum Bahnhof fortsetzen wird. Zum Verständnis: die ursprüngliche Fürther Straße knickte kurz vor dem Plärrer etwas nach Norden ab und mündete in Verlängerung des rechts sichtbaren Gleispaares in die Platzanlage.

Eine besondere Attraktion stellte der „Plärrer-Automat“ in der Platzmitte dar. Das langgezogene Gebäude im Stil der „Klassischen Moderne“ wirkte zum Zeitpunkt seines Entstehens (1932) im Vergleich zu seiner damaligen Umgebung nahezu futuristisch. Innen wartete es mit einem „Automaten-Restaurant“ – daher der Name im Volksmund – und einem „Stummen Postamt“ auf. Letzteres hatte Fernsprechzellen, Briefmarkenautomat und Briefkasten im Angebot. Nachdem der rechte Teil bereits früher abgebrochen wurde, musste auch der Rundbau des Restaurants 1977 dem U-Bahn-Bau weichen.

Der Wagenpark der Straßenbahn zeigt die Bandbreite der 50er Jahre. Der ältere Zweiachser-Zug (Reihe 700/800 / MAN ab 1925) im Vordergrund begegnet einer Kombination aus modernen Zweiachsern der frühen 50er Jahre (Reihe 100 / MAN 1951-54), die aus dem Konzept des „Deutschen Einheitsstraßenbahnwagens“ abgeleitet waren (Nachbau der Reihe 900 aus 1939 als Einrichtungswagen). Im Hintergrund kommt schließlich ein Zug aus vierachsigen Großraumwagen ins Bild, der den Düwag-Großraumwagen ähnelt, aber wiederum vom örtlichen Hauslieferanten MAN mit SSW-Ausrüstung gebaut wurde.

Zum Schluss noch ein Wort zum fränkischen „Plärrer“: Die Herkunft des Namens erscheint eindeutig, es handelt sich auf jeden Fall um einen „Marktplatz“. Dieser liegt aber außerhalb der Stadtmauern und ist Händlern vorbehalten, die keine Konzession für die Plätze in der Stadt erhalten haben. Daraus darf man vermutlich auch auf ein gewisses soziales Niveau schließen…

-gk- / Foto: Sammlung -gk

KW 26/2018 – Bad Homburg: Mit der Tram zur Spielbank ?

Guido KorffBild der Woche

Letzte Woche haben wir Nizza einen Besuch abgestattet und eine Stadt angetroffen, die auch heute noch fast nur vom Tourismus lebt. Treffpunkte des internationalen Adels und neureicher nichtadeliger Prominenz gab es aber auch in Deutschland. Einige davon haben ihren Nimbus sogar bis in die Gegenwart retten können.

Bad Homburg gilt nach wie vor als „Refugium der Reichen“, verdankt diesen Ruf aber vor allem seiner Nähe zu Frankfurt. Die Banker aus der deutschen „Hauptstadt des Geldes“ haben sich schon immer gern an den Hängen des Taunus niedergelassen. Allerdings hat es auch nicht geschadet, dass ab Mitte des 19. Jahrhunderts ein Kurbetrieb begann, zu dessen besonderem Anziehungspunkt die Spielbank wurde. Nach 1888 unterhielt sogar der deutsche Kaiser Wilhelm II. hier seine Sommerresidenz.

Selbst eine eigene Straßenbahn konnte Bad Homburg vor der Höhe (wie es vollständig heißt) seinen Gästen bieten. Sie erschloss von 1899 bis 1935 die Stadt der Länge nach und verfügte auch über einige kurze Zweiglinien. Sie verband Kliniken, Kurhotels und Ausflugsziele. Glanzstück war die „Überlandstrecke“ zum Römerkastell Saalburg, die als Bergbahn (max. Steigung 55,5 Promille) ausgebaut war. Da nach dem Ersten Weltkrieg die adelige Kundschaft ausblieb, endete 1935 der eigenständige Betrieb.

Dennoch gab es weiter Straßenbahnverkehr in der Stadt, denn ein Teil der Innenstadtstrecke (bis zum Markt) wurde zusätzlich von der Linie 25 der Frankfurter Lokalbahn AG (FLAG) bedient. Diese Verbindung gehörte 1971 zu den ersten Frankfurter Stadtbahnlinien. Die „U2“ verkehrt allerdings nur noch bis zum Stadtrand von Bad Homburg. Derzeit gibt es jedoch Pläne, wieder bis zum Bahnhof der Kurstadt vorzudringen.

Unser Bild zeigt einen Dreiwagenzug der Lokalbahn vor dem Kurhaus, wie es bis zum Zweiten Weltkrieg aussah. Mittlerweile steht hier schon die übernächste Gebäudegeneration von 1984. Hinter dem Kurhaus beginnt der Kurpark, in dem man nach einem kurzen Spaziergang die Spielbank erreicht, die immer noch von Gästen aus aller Welt besucht wird.

Der Triebwagen stammt aus dem Eröffnungsjahr 1910 und entspricht der FLAG-Serie 1 – 18, ihm folgen nahezu baugleiche Beiwagen (FLAG-Serie 51 – 72). Bemerkenswert ist die eigenartige Konstruktion des Stromabnehmers, der auf einer Art dreieckigem Untergestell eine parallelgrammförmige Konstruktion für die beiden Schleifstücke trägt. An diesem „Berliner Dreiecksbügel“ erkennt man allerdings die acht weitgehend baugleichen städtischen Triebwagen der Reihe „V“, denn die FLAG-Triebwagen waren mit zwei Lyrabügeln bestückt. Die städtischen Fahrzeuge der Reihen „V/v“ verkehrten im Gemeinschaftsverkehr auf der Linie 25 und waren auch speziell dafür ausgerüstet.

Nach der Anfangsphase wurde der Wagenpark bis zur Übernahme der FLAG durch die Frankfurter Straßenbahn im Jahre 1955 übrigens nur ein einziges Mal ergänzt: 1923 lieferte die Waggonfabrik Uerdingen einen vierachsigen Beiwagen mit niedrigem Mitteleinstieg, der sich aber nicht bewährte. Er ist heute im Museum Schwanheim zu besichtigen.

Das Zielschild des Motorwagens weist auch auf die Saalburg hin, wohin die FLAG-Züge aber nicht durchgefahren sind. Vielmehr gab es an der Endstation Marktplatz einen engen Übergang zur „Saalburgbahn“. Falls unsere Aufnahme nach 1935 entstanden sein sollte, stellt vielleicht der Bus der Linie 1 (rechts) den Anschluss her.

Die nördlichen Linien der FLAG waren abschnittsweise als Kleinbahn konzessioniert, deshalb tragen die Fahrzeuge Doppelscheinwerfer und Zugschlussscheiben. Die Doppelscheinwerfer fanden wir später sogar noch an einigen modernen Düwag-Gelenkwagen, die bis 18. Dezember 1971 die Kurstadt erreichten.

-gk- / Foto: Sammlung -gk

KW 25/2018 – Nizza: Die Tram der “besseren Gesellschaft”

Guido KorffBild der Woche

Nizza gehört zu den französischen Städten, die ihre Straßenbahn viele Jahre nach der ersten Stilllegung wieder eingeführt haben. Trotz nur ca. 340 Tsd. Einwohnern ist Nizza (frz. Nice) die fünftgrößte Stadt des Landes; der Ballungsraum zählt ca. 930 Tsd. Einwohner.

Als 1878 die Pferdebahn ihren Betrieb aufnahm, durfte sie auch viele vermögende Briten zu ihren Fahrgästen zählen, die den Badeort als ideale Sommerfrische entdeckt hatten. Die Linie von Nizza nach Cimiez brachte dann 1895 den elektrischen Betrieb an die Cote d’Azur, allerdings noch eher versuchsweise mit Akkumulatoren und auf nur 60 cm Spurweite. In einer großen Kraftanstrengung wurde schließlich 1897 die „Compagnie des Tramways de Nice et du Littoral“ (TNL) gegründet, die das Stadtgebiet erschließen, aber auch die benachbarten Küstenorte einbinden sollte.

Auf den innerstädtischen Strecken sorgten teilweise unterirdische Kanäle für die Stromzufuhr, weil man schon damals den Anblick der repräsentativen Architektur nicht durch eine Fahrleitung beeinträchtigen wollte – eine Ansicht, der sich auch die moderne Bahn der zweiten Generation beugen musste. Die Wagen haben Batterien an Bord, um die beiden wichtigsten Plätze der Stadt „drahtlos“ überqueren zu können. Zugleich konnte man sich eine höhergelegte Fahrleitung ersparen, da hier auch die Wagen der Karnevalszüge die Strecke kreuzen.

Im Vorortbahnbereich gab es einige Wettbewerber, die es zu übernehmen galt. Darunter befand sich auch die „Compagnie des Tramways de Monaco“, die das ehemalige Piratennest für Touristen attraktiver machen sollte. Von Beausoleil oberhalb von Monte Carlo gab es übrigens zwischen 1983 und 1932 auch eine Zahnradbahn nach La Turbie, die nach dem System Riggenbach die 500 m Höhenunterschied überwand. Einige Jahre lang teilte sich diese Bahn ihre Gleise dann noch mit einer kurzen Hotelstraßenbahn!

Zwischen Nizza und Monaco verlief damals schon ein Abschnitt der bekannten Küstenstraße „Corniche“, wobei im Namen auch das „Gesims“ mitschwingt. Damit sind überhängende Felsen gemeint, wie wir sie auch auf unserem Foto erkennen können. Der sichtbare Triebwagen (vermutlich (Um-)Baujahr 1912) hat gerade auf etwa halber Strecke nach Monaco das Städtchen Eze-sur-Mer passiert. Die Szene mit dem massigen Cap Roux wurde auf zahlreichen Postkarten verewigt, eine Fahrt auf dieser Strecke galt als „Muss“ jeder Mittelmeerreise.

Die Linie wurde 1900 eröffnet und im Jahre 1908 der Nachbarbetrieb in Monaco übernommen. Die TNL knüpfte ein umfangreiches Gesamtnetz, das sich 1930 auf 144 km erstreckte. Auf diesen Gleisen rollten im gleichen Jahr 183 Trieb- und 96 Beiwagen. Die Spurweite betrug übrigens 1440 mm. Auf einigen Abschnitten bestand auch Güterverkehr, so beispielsweise vom Endbahnhof der Schmalspurbahn nach Digne ausgehend, der drei Blocks von der SNCF-Station entfernt liegt. Zahlreiche E-Loks bewegten zeitweise über 400.000 Tonnen Ladung im Jahr!

Die Küstenstrecken verschwanden schon zwischen 1929 und 1934, unsere Linie 24 verkehrte letzmalig am 26. Januar 1931. Sie machte dem wachsenden Automobilverkehr Platz; Cabriolets und offene Reisebusse wirkten auf das Publikum damals reizvoller als die alten Straßenbahnen, die fast alle noch aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stammten. Der Popularität der Straße tat die Umstellung also keinen Abbruch: Nicht umsonst heißt ein Cabriolet-Modell der Luxusmarke Rolls Royce aus dem Jahre 1971 „Corniche“ – womit sich auch der Kreis zu den britischen Badegästen der Belle Epoque wieder schließt.

Auch die Innenstadt wurde Zug um Zug „freigeräumt“, bis 1953 die letzte Tram in der Region verkehrte. Wie in anderen Städten gab es ein Intermezzo mit einem Obus-Betrieb, das von 1942 bis 1970 dauerte.

Die schienenfreie Periode endete zwar erst 2007, dafür übertraf die neue Linie 1 aus dem Stand die Erwartungen. Schon bald soll sie Zuwachs durch mehrere Neubaustrecken erhalten, zu denen Alstom dann auch ein neues Verfahren der Energiezuführung beisteuert. Die Batterien werden an den Haltestellen innerhalb von 20 Sekunden induktiv aufgeladen.

Und wo es keine unterirdischen Stromschienen mehr gibt, geht gleich die ganze Bahn unter die Erde: drei Kilometer Tunnel unter derm Statdzentrum gehören auch zum Bauprogramm.

-gk- / Foto: Sammlung -gk

KW 24/2018 – Münster Hbf: Noch ein “historischer” Hauptbahnhof

Guido KorffBild der Woche

Wer Münster kennt, bemerkt sofort, dass auf diesem Bild etwas fehlt: die hunderte von Fahrrädern, die in den letzten Jahrzehnten tagtäglich vor dem Gebäude des Hauptbahnhofs abgestellt waren! Durch die weitgehend flache Topographie eignet sich die Stadt wie kaum eine andere in Deutschland für den massenweisen Einsatz dieses umweltfreundlichen Verkehrsmittels. Hinzu kommt, dass etwa jeder fünfte der heute rd. 300.000 Münsteraner hier als Student lebt, die immer schon ein Faible für Drahtesel hatten.

Als 1901 die elektrische Straßenbahn eingeweiht wurde, zählte Münster erst ca. 65.000 Einwohner, wuchs aber rasch und erreichte schon 1915 – auch durch Eingemeindungen – den Status einer Großstadt. Trotzdem blieb die Stadt mit dem fast runden Stadtkern auch danach überschaubar. In ihrer besten Zeit erstreckten sich die vier Straßenbahnlinien auf maximal 12 km durchweg eingleisiger Strecke. Sie durchquerten die Altstadt und befuhren auch den bekannten Prinzipalmarkt.

Da in Münster der Stadtkern trotz der schweren Zerstörungen nach dem Zweiten Weltkrieg – zum Glück! – weitgehend in alter Form wieder aufgebaut wurde, galten die Bahnen in den engen Straßen schnell als Hindernis. Dagegen blieben die neuen Wohnviertel außerhalb der alten Wallanlage ohne Anschluss an die Tram. Die beiden letzten Linien fanden deshalb schon 1953/54 ihren Nachfolger im Obus, der sich seinerseits bis 1968 halten konnte.

Der Wagenpark war während der ganzen Betriebszeit übersichtlich. 25 Triebwagen und 8 Beiwagen bildeten 1901 die Grundausstattung. Wie fast überall in Deutschland folgte in der zweiten Hälfte der 20er Jahre die zweite Generation: 1926 lieferte die Gothaer Waggonfabrik 20 Triebwagen, die etwas größer als die bisherigen ausfielen. „Neue“ Beiwagen gab es erst wieder Anfang der 50er Jahre, davon zwei gebraucht aus Baden-Baden und drei Eigenbauten unter Verwendung alter Teile. Nach der relativ frühen Betriebseinstellung konnten die Fahrzeuge teilweise noch nach Osnabrück und Würzburg verkauft werden.

Obwohl der Hauptbahnhof nur wenige hundert Meter außerhalb des Wallrings liegt, war er stets ein wichtiges Ziel des Münsteraner Nahverkehrs und wurde von der „roten“ Linie in das Hafengebiet bedient. Das Bahnhofsgebäude von 1890 galt später als nicht mehr zeitgemäß und wurde bis September 1930 umgebaut und im Stil der Zeit modernisiert. Das Ergebnis war ein Bau, der seine Türmchen und plastischen Verzierungen weitgehend verloren hatte. Im Zweiten Weltkrieg dienste Münster schon recht früh als Angriffsziel und der erneuerte Hauptbahnhof war davon nicht ausgenommen. Nach seiner völligen Zerstörung entstand bis 1960 ein Ersatz, der wiederum ein typisches „Kind seiner Zeit war“. Die Fahrradmassen auf seinem Vorplatz waren legendär.

Da dieser Bau mangels Pflege in die Jahre gekommen war, sollte ein Nachfolger her. Am 24. Juni 2017 wurde dann das neue „Shopping-Center mit Gleisanschluss“ eingeweiht. Es räumt auch mit dem Wildwuchs vor seiner Tür auf, denn eine „Radstation“ mit 3.300 Einstellplätzen und Service-Einrichtungen wie Reparatur-Werkstatt und Schließfächern soll Ordnung schaffen. Die gesamte Baumaßnahme umfasst weitere Gebäude, darunter ein Hotel, so dass sich im Umfeld die Kräne noch eine Weile drehen werden.

Tw 64 auf unserem Foto aus dem Jahre 1930 stammt aus der Gothaer Serie. Sein Schwesterfahrzeug Tw 65 wurde nach einer langen Odyssee via Hannover in seine alte Heimat zurückgeholt, restauriert und im Foyer des Stadthaus 3 (Städt. Tiefbauamt) aufgestellt. Es ist der letzte existierende Wagen der Münsteraner Straßenbahn.

Auch wenn Vorschläge für Stadtbahnlinien wohl ein Wunschtraum bleiben müssen, konkretisiert sich eine andere „Wiederbelebung“: auf die Strecke der WLE (Westfälische Landes-Eisenbahn) nach Sendenhorst (bzw. Beckum) soll 2023 der Nahverkehr zurückkehren.

-gk- / Foto: Sammlung -gk-

KW 23/2018 – Der “Stachus” in München: das “Herz” des Straßenbahnnetzes

Guido KorffBild der Woche

In KW21/2018 haben wir den Münchner Hauptbahnhof besucht. Diese Woche ziehen wir einen Häuserblock weiter und schauen uns am Karlsplatz um, den die Münchner „Stachus“ nennen. Durch die Straßenschlucht links des Hotels Königshof erkennt man noch schwach die Fassade des alten Hauptbahnhofs, die in den 50er Jahren abgerissen wurde. Die heutige Empfangshalle öffnete dann im August 1960 erstmals ihre Türen für DB-Reisende.

Die Straßenbahngleise im Vordergrund führen in die Neuhauser Straße, die ihren oberirdischen Schienenverkehr 1972 zugunsten der S-Bahn verloren hat. Die hier sichtbare Ost-West-Ausrichtung des Karlsplatzes wurde deshalb damals in eine Nord-Süd-Orientierung umgewandelt, die Neuhauser Straße zur Fußgängerzone.

Nach links führt die Sonnenstraße zum Sendlinger Tor. Sie folgt der früheren Stadtmauer und nahm nach deren Abbruch den Charakter eines Boulevards mit einer Flanierallee in seiner Mitte an. Heute liegen hier stellenweise acht Autofahrspuren nebeneinander; aber auch die Tramstrecke fächert sich kurz vor dem Sendlinger Tor immer noch in vier Gleise auf. Zwei davon dienten bis 1972 der „Vorsortierung“ des Abzweigs in die Lindwurmstraße, heute führen sie in die Wendeanlage. Unter der Lindwurmstraße fahren heute die U-Bahn-Linien 3 / 6. Das Gasthaus und Reisebüro links im Vordergrund musste diesem Umbau natürlich weichen.

Die zentrale Haltestelle mit dem Wartehäuschen ist ebenfalls verschwunden. Die Tramhaltestellen in den angrenzenden Straßen haben aber alle durch die unterirdische Fußgängerebene der S-Bahn-Station Verbindung miteinander.

Um den drei stark belasteten Linien Richtung Moosach das Überqueren der Autofahrspuren zu ersparen, verläuft heute vor dem Hotel Königshof ein separates Wende- und Wartegleis, auf dem die von rechts aus der Prielmayerstraße kommenden Wagen der Linien 20 / 21 / 22 gleich wieder über die Bayerstraße (links) zum Bahnhofsvorplatz zurückkehren können.

Weil die Umsteigeverbindungen zur S- und zur U-Bahn stark genutzt werden, kommen die meistfrequentierten Münchner Trambahnlinien hier vorbei. Deshalb kann man durchaus vom „Herzen“ des Tramnetzes sprechen.

Und warum wird der Karlsplatz meistens „Stachus“ genannt? Dort, wo links heute der Kaufhof steht, befand sich seit 1728 eine Gastwirtschaft mit Biergarten, die einem Eustachius Föderl gehörte. Da der Kurfürst Karl Theodor, der dem Platz eigentlich seinen Namen gegeben hatte, als Wittelsbacher aus der Pfalz in München eher unpopulär war, wich die Bevölkerung auf den Rufnamen des beliebten Wirtes Föderl aus – und so ist es bis heute geblieben.

-gk- / Foto: Sammlung -gk

KW 22/2018 – Zeebrugge: Ein lauer Sommerabend an der Küste

Guido KorffBild der Woche

Seeluft macht müde – so lässig wie unsere „Helden“ hier auf der Plattformbrüstung lehnen, scheint es sich um ihre abendliche Heimfahrt zu handeln! Die Szene strahlt eine gemütliche Atmosphäre aus, die man angesichts des heutigen Seehafens an dieser Stelle kaum noch nachvollziehen kann.

Zeebrugge als „Filiale“ der weiter landeinwärts gelegenen Stadt Brügge verfügte zwar auch schon damals über einen Hafen an der Mündung des Flüsschens Reie, aber die Hafenbecken lagen landeinwärts hinter der Küstenlinie. Die Einfahrt wurde durch eine etwa 1000m lange Mole geschützt, an deren Außenseite dadurch eine große Badebucht entstanden war, die offensichtlich viele „Wasserratten“ anzog.

Heute sieht es hier ganz anders aus. In den 70er Jahren wurde der Hafen massiv ausgebaut und ins Meer hinein vergrößert. Bei uns ist er seitdem als Fährhafen nach England bekannt, dient aber auch in großem Umfang dem Frachtverkehr. Container-Gebirge und Lagerhäuser lassen kein rechtes Urlaubs-Feeling mehr aufkommen.

Die Küstenlinie der SNCV – oder hier geografisch passender: NMVB (Nationale Maatschappij van Buurtspoorwegen) – erfreute sich schon immer großer Beliebtheit bei den Badegästen. Die „Kusttram“ rauscht heute am Hafen Zeebrugge aber auf einer vierspurig ausgebauten Straße in wenigen Momenten vorbei.

Bemerkenswert sind allerdings die Streckenführungen an den beiden Seeschleusen: Wenn eine der Klappbrücken über die Zufahrten zu den landeinwärts gelegenen Hafenbecken geöffnet werden muss, kann die Tram das Hindernis auf einer kurzen Schleifenstrecke umfahren und den Zufahrtskanal auf einer anderen Brücke überqueren (eine ähnliche Konstellation gibt es auch noch in Oostende).

1885 eröffnet, rühmt sich die 67km lange Bahnlinie heute, die längste Straßenbahnlinie der Welt zu sein. Sie endet immer noch an beiden Seiten jeweils im letzten Ort vor der Landesgrenze, die frühere Durchbindung in die Niederlande besteht aber schon lange (bis 1939) nicht mehr. Zur SNCV gehört die Bahn nicht mehr; das Unternehmen hat sich aufgeteilt / regionalisiert. Seit 1991 weisen sich die Trams als Fahrzeuge der Gesellschaft „De Lijn“ aus, die auch die Straßenbahnen in Antwerpen und Gent betreibt. Dadurch kommen im Sommer auch immer wieder Gastfahrzeuge aus den beiden genannten Städten zur Sommerfrische ans Meer.

Der hier sichtbare Beiwagen 11577 bildet das Schlusslicht eines Dreiwagenzugs; die aufgesteckte rote Laterne ist nicht zu übersehen. Er stammt noch aus den Jahren vor dem ersten Weltkrieg. Die Serie von 30 Fahrzeugen zeichnete sich durch eine Breite von 2,40m aus, die der größere Gleisabstand auf der Küstenstrecke schon damals zuließ. Ursprünglich waren sie für kombinierte Abteile der 2. und 3 Klasse eingerichtet. Markant ist das Dach über den Plattformen, das wie eine Schirmmütze heruntergezogen erscheint.

Die – durchweg männlichen – Fahrgäste auf der hinteren Plattform rauchen in Ruhe ihr Pfeifchen oder eine Zigarette im Freien. Sie zeigen sich völlig unbeeindruckt von den anderen Fahrgästen, die ihren Platz in der Bahn noch suchen. Welch’ eine Idylle!
-gk- / Foto: Sammlung -gk