KW03/2019 – Heidelberg: Totgeglaubte leben länger !

Guido KorffBild der Woche

Ende der 60er Jahre geriet die Straßenbahn in Heidelberg in eine Welle von Streckenstilllegungen, die das Netz drastisch verkleinerten und ein baldiges Ende des Gesamtbetriebs befürchten ließen. Der absolute Tiefpunkt war dabei die Aufgabe der Altstadt-Durchfahrt. Außerdem wurden durch Streckenkürzungen mehrere Wendeschleifen abgebaut, so dass dreizehn relativ moderne Einrichtungssechsachser (Bj. 1960/61) nach Mannheim und Mainz verkauft und durch neue Zweirichtungswagen ersetzt werden mussten. Doch der Betrieb konnte sich wider Erwarten halten und baut seit einiger Zeit sogar neue Strecken; die Trasse durch das Neubaugebiet „Bahnstadt“ wurde gerade erst kurz vor Weihnachten 2018 eröffnet.

Die weltbekannte historische Heidelberger Altstadt zwängt sich schlauchartig in das enge Tal, in dem der Neckar den Odenwald durchbricht und nach Westen zum Rhein vorstößt. Diese Position mag zwar in früheren Jahrhunderten militärstrategisch günstig gelegen haben, heute ergeben sich dort jedoch Verkehrsverhältnisse, die selbst das Tal der Wupper noch weiträumig erscheinen lassen Zwangsläufig mussten die neueren Stadtteile in der westlich anschließenden Rheinebene angelegt werden.

Das Straßenbahnnetz entwickelte sich deshalb scheinbar eher in einer Nord-Süd-Orientierung und berührt – zumindest heute – die Altstadt nur am Rande. Die wichtigste Strecke führte jedoch früher mitten durch die Altstadt, entlang der Hauptstraße und parallel zum Neckar. Sie passierte zahlreiche Behörden und Einkaufspunkte. Die Verbindung vom (alten) Hauptbahnhof zum Karlstor am anderen Ende der Altstadt startete folglich schon 1886 als Pferdebahn. Das genannte Tor sehen wir auf unserem Bild, seiner anschließenden Stadtmauern beraubt, im Zentrum einer Straßenbahnwendeschleife.

Kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert kam auch die elektrische Straßenbahn nach Heidelberg. Die Altstadtstrecke war wiederum unter den ersten Linien, die von der neuen Technologie profitierten. Danach zog sich der Netzausbau etwas in die Länge. Neckaraufwärts ging es erst ab 1910 weiter bis Schlierbach und im April 1914 bis Neckargemünd (zusammen ca. 8,2 km).

Da längst nicht alle Bahnen weiter ins Neckartal verkehren sollten, wurde das Karlstor schon früh zu einer wichtigen Endhaltestelle. Ein Grund dafür: Links im Bild sehen wir ein Tunnelportal der „Badischen Odenwaldbahn“, die auf dem Weg vom alten Hauptbahnhof den Schlossberg in mehreren kurzen Tunneln unterquerte. Da sie auf den nächstfolgenden Kilometern direkt am Neckarufer verlief, gab es am Karlstor eine Kreuzung mit der Uferstraße, die mit besetzten Straßenbahnen nicht befahren werden durfte. Ein weiterer Grund war aber auch der hier angelegte Karlstor-Bahnhof, der den zahlreichen Berufspendlern aus dem Neckartal durch Umsteigen schnelleren Anschluss in die Altstadt bot als der Umweg über den Hauptbahnhof.

Schlängelten sich die Bahnen anfangs durch das Tor (warum eigentlich?), umrundeten sie das Bauwerk schon ab 1938 in einer aus beiden Richtungen nutzbaren Wendeschleife. Damit war aber schon 1968 wieder Schluss, denn die Kreuzung wurde großräumig „umgestaltet“ und die Wendeanlage in eine stumpfe Endstelle umgebaut. Nachdem man 1955 den neuen Hauptbahnhof samt Zulaufstrecken nach 47 Jahren (!) Gesamtbauzeit endlich fertiggestellt hatte, waren nämlich die Tunnel der alten Neckartalbahn zu einer Autoumgehung für die Altstadt umgerüstet worden, so dass hier ein neuer Knoten für den Kraftverkehr entstand. Da wir auf dem Foto kein einziges Auto entdecken können (nicht einmal ein parkendes), dürfte es sich bei unserem Bild um eine Aufnahme aus der Zeit unmittelbar nach 1938 handeln.

Der Triebwagen stammt noch aus der ersten Fahrzeuggeneration von 1901/02, was man aus Fensterteilung und Fahrgestellform schließen kann. Zwei zunächst museal erhaltene Exemplare dieser Baureihen sind später leider in Hannover und Marxzell untergegangen.

Zum Schluss noch eine anekdotische „Brücke“ zum Bergischen Land: Johann Wilhelm von der Pfalz – im Rheinland besser bekannt als „Jan Wellem“ – residierte auch deshalb in Düsseldorf, weil das rechts im Hintergrund sichtbare Heidelberger Schloss kurz vor seinem Amtsantritt von französischen Truppen im Zuge des Pfälzischen Erbfolgekriegs zerbombt worden war!

-gk- / Foto: Sammlung -gk

Quellen:
• Wikipedia
• Basten, Robert / Jeanmaire, Claude: Heidelberger Strassenbahnen, Villigen 1986
• Höltge, Dieter: Straßen- und Stadtbahnen in Deutschland / Band 6: Baden, Freiburg 1999