Das Holstentor als Wahrzeichen der Hansestadt Lübeck kennt jeder Westdeutsche, der zu DM-Zeiten groß geworden ist, denn das Bauwerk zierte die Rückseite des „Fuffi“ (= 50 DM). Weniger bekannt ist dagegen die Tatsache, dass Lübeck auch eine Straßenbahn besaß, die sich längst nicht nur auf die Altstadtinsel beschränkte, sondern weit in die nördliche Vororte links und rechts der Trave hinausreichte.
Am 30. April 1881 hatte es mit einer Pferdebahnlinie begonnen, die schon ab Mai 1894 schrittweise auf elektrischen Betrieb umgestellt wurde. Der Netzausbau zog sich viele Jahre hin, die größte Ausdehnung wurde erst 1928 mit 44,1 km Streckenlänge erreicht. Charakteristisch für die „Netz“-Struktur war das große „Kreuz“ der Strecken, die sich am Marktplatz in der Altstadt trafen und sich weiter draußen verzweigten. Die zweite Besonderheit war die unübliche Spurweite von 1100 mm.
Wie in fast allen Städten führte die erste Linie von der Innenstadt zum Bahnhof. So war es auch hier, wobei dieses Ziel allein noch keine Tram gerechtfertigt hätte, denn der damals wichtigste Bahnhof der Stadt lag direkt vor der Stadtbefestigung in der Nähe des hier sichtbaren Holstentors. Von hier aus reiste man ab 1851 mit der Lübeck-Büchener Eisenbahn (LBE) in südlicher Richtung nach Büchen an der Strecke Hamburg-Berlin, um von dort aus Hamburg zu erreichen.
Dieser beträchtliche Umweg (35 km bei ca. 63 km der direkten Verbindung) war der Tatsache zuzuschreiben, dass die damaligen Stadtstaaten Hamburg und Lübeck noch bis 1866 komplett von Dänemark umschlossen waren und der dänische König jede Konkurrenz zu seinem Projekt einer Chaussee zwischen den beiden Hansestädten verhindern wollte.
1908 baute die LBE dann einen neuen Hauptbahnhof etwas weiter vor der Stadt, an den zahlreiche neue Bahnlinien angeschlossen wurden. Dennoch blieb der Lübecker Hauptbahnhof bis 1938 eine reine Privatbahnstation! Die Deutsche Reichsbahn fasste in Lübeck erst Fuß, als im genannten Jahr im Zuge der Planungen für die „Vogelfluglinie“ die LBE und die Kreis-Oldenburger-Eisenbahn Richtung Fehmarn verstaatlicht wurden.
Das Holstentor bzw. „Holsteiner Tor“ (erbaut 1478) diente dem Ausgang aus der Stadt nach Westen ins damals dänische Holstein, im Norden und Osten erstreckte sich eigenes Territorium bis an die Ostsee. Das Stadttor gehörte zu einer Kette von vier hintereinander liegenden Toren. Das Gebäude selbst lag auf einer künstliche Insel, da man parallel zur Trave noch einen Stadtgraben ausgehoben hatte. Diese Insel wurde als Standort für den LBE-Bahnhof ausgewählt. Der Abriss des Torbauwerks konnte damals nur nach langen politischen Verhandlungen verhindert werden.
Wir sehen das Tor hier von der Stadtseite her, die Bahnanlagen kreuzten hinter dem Gebäude, der Kopfbahnhof schloss sich unmittelbar rechts an. Die Pferdebahn fuhr damals nur links am Tor vorbei, durfte anfangs die Bahngleise jedoch nicht kreuzen. Der Senat setzte sich über den Widerstand der LBE aber hinweg und erteilte trotzdem die Genehmigung zum durchgehenden Betrieb. Der hier sichtbare Motorwagen lässt sich wegen seiner vier Seitenfenster den vierzehn Lindner-Wagen der Jahre 1912-14 zuordnen, die hauptsächlich auf den Vorortstrecken zum Einsatz kamen. Der Beiwagen trägt die gelb-braune Lackierung, die nach dem Zweiten Weltkrieg für einige Jahre das Aussehen der Lübecker Straßenbahnen bestimmte.
Seit der Mitte der 20er Jahre verkehrten zusätzlich Omnibusse, die sich in den engen Straßen der Altstadtinsel wohl etwas wendiger bewegen konnten als die vorhandenen Trambahnen. Die Linienäste vom Markt nach Süden und Osten wurden deshalb schon 1935 stillgelegt, da sie überwiegend im engeren Teil der Altstadt verliefen. Die geplante Gesamtumstellung verhinderten die Kriegsvorbereitungen, die Knappheit bei Reifen und Kraftstoffen mit sich brachten. Soweit man die Gleise nicht bereits beseitigt hatte, wurden sogar kurze Abschnitte reaktiviert.
Obwohl insgesamt 19 Verbandstriebwagen – darunter drei Westwaggon-Lenkdreiachser – für eine positive Zukunft sprachen, verkehrte am 15. November letztmalig eine Straßenbahn in Lübeck auf den langen Außenlinien nach Bad Schwartau und Kücknitz / Herrenwyk.
Die noch jungen Verbandswagen konnten nach Kiel verkauft werden; Braunschweig übernahm einige KS-Beiwagen; der restliche Fuhrpark wurde verschrottet. In Kiel wurden die Triebwagen für Einrichtungsbetrieb umgebaut. In diesem Zustand sind zwei Wagen beim Museum am Schönberger Strand erhalten, von denen einer restauriert werden soll, während der andere als Ersatzteilspender vorgesehen ist. Ein Rückbau in den Lübecker Zustand als Zweirichtungswagen wird aber leider für zu aufwändig gehalten.
-gk- / Foto: Sammlung -gk
Quellen:
• Wikipedia
• Höltge, Dieter: Straßen- und Stadtbahnen in Deutschland / Band 8: Schleswig-Holstein, Freiburg 2002