KW 40/2018 – Frankfurt: Hoch auf dem gelben Wagen

Guido KorffBild der Woche

Hoch auf dem gelben Wagen…sitzt in Frankfurt kein hornschmetternder Postillion, sondern nur noch ein Lyrabügel. Immerhin hat die Elektrizität am Anfang des 20. Jahrhunderts die Pferdekraft schon vielerorts abgelöst.

In einigen größeren deutschen Städten verkehrten damals spezielle Poststraßenbahnen zwischen den größeren Postämtern, in der Regel vom Bahnhofspostamt zum Hauptpostamt im Stadtzentrum und zu den wichtigsten Verteilstellen in den Stadtbezirken. In München rollte die Post zwischen 1910 und 1988 sogar mit ihrer eigenen U-Bahn zum Bahnhof – zu ihrer Zeit eine weltweite Pioniertat. Auch der heute viel gefeierte „StreetScooter“ hatte seinerzeit schon einen Vorgänger in den Elektro-Lastwagen der Berliner Firma Bergmann – insgesamt eine moderne und saubere Angelegenheit, die man nach 100 Jahren mit viel Tamtam wiederentdeckt!

In Frankfurt verkehrten die gelben Wagen genau 50 Jahre – von 1901 bis 1951. Zuvor hatte es schon ab 1872 Postbeförderung auf dem Nahverkehrsnetz gegeben, damals noch mit Pferde- und Dampfbahn. Um den Ansprüchen der wachsenden Stadt zu genügen, bestellte die Deutsche Reichspost 1901 sieben eigene Schienenfahrzeuge, die auf dem Typ „A“ der städtischen Straßenbahn basierten. In späteren Jahren wuchs der Bestand auf insgesamt zwölf Triebwagen. Bedient wurde die Verbindung zwischen Hauptbahnhof und dem Hauptpostamt (ca. 2 km) auf der Einkaufsmeile „Zeil“. Geplante Verlängerungen vereitelte der beginnende Erste Weltkrieg.

Erst im Laufe des Zweiten Weltkriegs verlängerte sich der Betrieb bis zum Postamt 9 am Ostbahnhof, da LKW und Kraftstoff knapp wurden. Obwohl beide Dienststellen auf der gleichen Mainseite liegen, quert die Eisenbahnverbindung zwischen den beiden Bahnhöfen via Frankfurt-Süd zweimal den Fluss. Nach der Zerstörung der Mainbrücken war deshalb die Post-Tram für einige Jahre als Bindeglied unentbehrlich.

Als nach der Währungsreform LKW wieder verfügbar wurden, kam rasch das Ende: Am 31. Dezember 1951 fuhr der letzte planmäßige Kurs.

Der gelbe Posttriebwagen auf unserem Bild steuert gerade die Frankfurter Hauptpost von 1891 auf der Zeil an. Wir sehen den monumentalen Kuppelbau auf der linken Straßenseite auf Höhe des cremefarbenen Straßenbahnwagens. Durch eine Tordurchfahrt wird die Post-Tram gleich den Innenhof erreichen, in dem nicht nur eine Wendeschleife, sondern auch eine Wagenhalle für sechs Fahrzeuge untergebracht sind.

Auf dem Bild erkennen wir eine uniformierte Person auf der hinteren Plattform des Triebwagens. Das hat folgenden Grund: Da die Zufahrt zum Innenhof nur vom – in Blickrichtung – linken Gleis aus möglich war, wechselten Wagen vom Bahnhof über einen Gleiswechsel auf das „falsche“ Gleis, um dann nach kurzer Fahrt links abzubiegen. Das Gleiche galt auch für die Zufahrt zum Bahnhofspostamt in der Mainzer Landstraße. Um den Durchgangsverkehr möglichst wenig aufzuhalten, fuhr deshalb ein zweiter Postbeamter als Weichensteller mit, der hier auf seinen nächsten Einsatz wartet.

Das Hauptpostamt wurde im Krieg nahezu total zerstört. Da aber die unterirdischen Telefonkabel hier an die Oberfläche traten, wurde das Gebäude als Fernmeldeamt neu gebaut und 1954-56 eröffnet. Auf die alte Hofzufahrt von der Zeil her war dabei aus Sicherheitsgründen verzichtet worden.

Eine Anekdote am Rande: Die geplante Höhe des Fernmeldeamts von 55 m wurde damals von der Stadtverwaltung mit Rücksicht auf den nahegelegenen Dom nicht genehmigt. So ragte Frankfurts erstes Hochhaus nur etwa 40 m in die Höhe! Im Zuge der Verdichtung der Handels- und Büroflächen in der Frankfurter Innenstadt musste es 2004 dem Projekt „palaisquartier“ weichen, das 2009 seine Türen öffnete. Zu dem Komplex gehören auch zwei – für Frankfurter Verhältnisse – eher „kleine“ Hochhäuser von 136 m und 99 m Höhe.

Als eine der letzten Freien (Reichs)städte“ (bis 1866) hatte Frankfurt zwar nie ein Schloss, aber Bürger, die ihren Reichtum in repräsentativen Bauten zur Schau stellten. Barocke und klassizistische Palais säumten deshalb im 19. Jhdt. die Zeil als Vorzeíge-Boulevard. Ab der Wende zum 20. Jhdt. verdrängten dann allmählich Kaufhauspaläste die alte Wohnbebauung.

Die „Zeil“ gehört heute zu den drei meistfrequentierten Einkaufsstraßen in Deutschland und ist bereits seit den 70er Jahren eine Fußgängerzone. Die früher ier verkehrenden Straßenbahnen verlaufen seitdem als Stadtbahn-Linien U6 und U7 auf gleicher Strecke unterirdisch, gemeinsam mit der S-Bahn-Stammstrecke.

-gk- / Foto: Sammlung -gk-

KW 39/2018 – Hamburg: 1978 – Die Stange nimmt ihren Abschied in Deutschland

Guido KorffBild der Woche

Wer unser aktuelles Bild der Woche aus Hamburg betrachtet, spürt fast den Pulsschlag der Metropole – und die Mönckebergstraße war eine ihrer wichtigsten Verkehrsadern. Sie verbindet den Hauptbahnhof mit dem Rathausmarkt, dem Herzen der stolzen Hansestadt.

Vor vierzig Jahren verschwand endgültig ein großer Teil der „roten Blutkörperchen“ aus diesem System, denn die Straßenbahnlinie 2 stellte in der Nacht vom 30. September zum 01. Oktober 1978 als letzte ihren Betrieb zwischen Rathausmarkt und Schnelsen ein. Bis dahin hatten die kantigen Vierachser der Waggonfabrik Falkenried mit ihrer rot-creme-farbenen Lackierung das Straßenbild deutlich mitgeprägt. Zugleich endete der letzte reguläre Fahrbetrieb mit Stangenstromabnehmer bei einem deutschen Straßenbahnbetrieb.

Unser Motiv zeigt die Mönckebergstraße, die auch heute noch eine der Hauptverkehrsadern Hamburgs darstellt, obwohl der Automobilverkehr stark eingeschränkt wurde. Unter der Straße verläuft nämlich ein Abschnitt der ersten Hamburger U-Bahn-Linie, eröffnet 1912. Im hier dargestellten Stadtbereich lagen damals überwiegend ziemlich heruntergekommene Wohnbereiche (sog. „Gängeviertel“), in denen sich Trinkwasserversorgung und Kanalisation schon lange nicht mehr in einem zeitgemäßen Zustand befanden. Deshalb fand hier die letzte Cholera-Epidemie von 1892(!) besonders viele Opfer.

Es kam zu einer „Radikalkur“, bei der nach großflächigem Abriss der Wohnbauten ein modernes Geschäftsviertel hochgezogen wurde. Die hier sichtbaren Gebäude wirken zwar „historisch“, sind aber in ihrem Inneren Stahlbetonkonstruktionen mit moderner Infrastruktur wie Aufzügen etc. Den einheitlichen Entwurf der Straße erkennt man an der durchgängigen Dachhöhe der Gebäudezeile. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die ursprünglichen Formen – teilweise vereinfacht – rekonstruiert. Die links sichtbare Spitaler Straße zählt heute zu den „TOP 3“ der deutschen Einkaufsstraßen.

Das „Tempelchen“ im Vordergrund beherbergte eine öffentliche „Bücherhalle“, heute dagegen ein Schnellrestaurant. Der Brunnen vor dem Gebäude erinnert an den Hamburger Bürgermeister Johann Georg Mönckeberg (1839-1908), der den Stadtumbau angestoßen hatte, aber dessen Vollendung nicht mehr selbst erleben konnte.

Wie auch andernorts waren die letzten beiden Jahrzehnte der Hamburger Straßenbahn gekennzeichnet durch eine seltsame Mischung aus Modernisierung und Rückbau. Eigenen Bahnkörpern in breiten Straßen (man denke nur an die Rampenanlage an den Deichtorhallen) stand die kontinuierliche Beschneidung des Netzes gegenüber, das 1955 seinen Höhepunkt in der Nachkriegszeit erreicht hatte. In jenem Jahr war die SL 1 im Altonaer Westen nach Lurup verlängert worden, zugleich eine der wenigen Stellen, an denen das Netz die Außengrenze des Stadtstaats überschritt.

Eine Entwicklung, die Hamburg gegenüber der Masse der anderen deutschen Straßenbahnbetriebe dagegen positiv auszeichnete, war die frühe Einführung vierachsiger Triebwagen. Sie begann schon 1897, nachdem sich 1896 ein dreiachsiger Probewagen mit US-amerikanischer Technologie nicht bewährt hatte. Aus einer Serie von 50 Fahrzeugen der Baujahre 1897-1901 entstammte auch Tw 2030, dem wir auf unserem Bild aus den 30er Jahren begegnen. Er überlebte sogar den Zweiten Weltkrieg, erhielt eine neue Nummer und gehörte noch für ca. zehn Jahre zum Arbeitswagenpark.

Eine Besonderheit der Hamburger Vierachser war bis zuletzt ihr geringer Abstand zwischen den Drehpunkten der Drehgestelle von 5,20 m. Dieser Wert war wohl einer Schiebebühne in der Hauptwerkstatt geschuldet. Da ab Mitte der 30er Jahre Wagenlängen von etwa 14 m bei den Vierachsern zum Standard wurden, ergaben sich enorme Überhänge an den Wagenenden, die die bekannten, spitz zulaufenden Wagenkästen erforderlich machten. Die drei rundlich-spitzen Versuchswagen der Reihe V4 von 1938 konnten den Einfluss der Dresdner Hechtwagen kaum verleugnen.

Hamburg war mit den späteren Serien-Baureihen V6 / V7 der Düwag um mindestens zwei Jahre voraus, denn der erste Probezug rollte schon 1949 auf die Hamburger Straßenbahnstrecken. Man hatte sich beim Konzept wohl an den Schweizer Einheitswagen der 40er Jahre orientiert; auch die Wagenkästen waren nun kantig ausgeführt. Die Vierachser ab Baujahr 1937 (Reihe V3) führten die “typische” rot-weiße Lackierung in Hamburg ein, die nach dem Krieg auch auf ältere Zweiachser überging.

Obwohl bis zur Mitte des folgenden Jahrzehnts die Zukunft der Straßenbahn noch positiv aussah, wurden die V7 nicht mehr zu Gelenkwagen weiter entwickelt. Eine Serie von Vierachsern mit schwebenden Mittelteilen kam noch zustande, bewährte sich im täglichen Einsatz jedoch nicht.

Obwohl es die Verkehrsbetriebe den Fans damals nicht leicht gemacht haben, konnte erfreulicherweise eine Anzahl Hamburger Straßenbahnwagen museal erhalten werden. Am Schönberger Strand und im dänischen Straßenbahnmuseum lassen sie sich sogar in Bewegung beobachten.

-gk- / Foto: Sammlung -gk

KW 38/2018 – Kopenhagen: Wonderful, wonderful Copenhagen…

Guido KorffBild der Woche

Auf den ersten Blick könnte man meinen, wir hätten erneut ein Bild vom Wittener Rathaus vor uns – doch halt: es gibt einen Turm mehr! Damit der Norden in unserer Bildauswahl nicht zu kurz kommt, sind wir diesmal in die dänische Hauptstadt Kopenhagen gereist.

Zugleich gratulieren wir damit dem dänischen Straßenbahn-Museum in Skjoldenaesholm zu seinem 50. Geburtstag!

Die Titelzeile erinnert an einen Schlager aus dem Jahr 1952, der von Danny Kaye in einer US-amerikanischen Schmonzette über den berühmtesten Sohn des Landes – Hans Christian Andersen – gesungen wurde. Aber warum „wonderful“? Da gibt es in Kopenhagen noch die „Kleine Meerjungfrau“ aus einem Märchen von Andersen – und dann fällt einem keine weitere bedeutende Sehenswürdigkeit mehr ein. Also muss der Rathausplatz herhalten. Immerhin sehen wir hier eine Reihe reizvoller Straßenbahnfahrzeuge.

Da sind wir Straßenbahn-Fans im Vorteil, denn die 100 Düwag-Sechsachser – auch jetzt teilweise noch in Alexandria im Einsatz – haben die Erinnerung an den Straßenbahnbetrieb in Kopenhagen wachgehalten. Im dänischen Museum wird man demnächst sogar wieder ein zurückgekehrtes, restauriertes Exemplar im Einsatz erleben können.

Unser Nachbarland im Norden ist von der Fläche zwar nicht klein, aber mit 5,8 Mio. Einwohnern nur etwa halb so dicht besiedelt wie der große Nachbar im Süden. Nach der Millionenstadt Kopenhagen folgen deshalb als nächstkleinere Aarhus mit nur noch ca. 270 Tsd. Einwohnern und danach nochmals deutlich kleinere Städte. Da ist es verständlich, dass das Land insgesamt nur drei Städte / Gebiete mit Straßenbahnen aufzuweisen hatte: Odense (bis 1952), Aarhus (bis 1971) und die Agglomeration rund um die Hauptstadt Kopenhagen (bis 1972).

Kopenhagen wurde schon recht früh von mehreren Bahngesellschaften – damals noch Pferdebahnen – erschlossen, die aber schon nach wenigen Jahren zu einem großen Teil fusionierten. Dabei hielt sich der etwas größere Betrieb der Nachbarkommune Frederiksberg bis 1919 selbständig und wurde erst dann von KS (Kobenhavns Sporveje) übernommen. Noch heute teilt sich die eigenständige Großstadt Frederiksberg den Nahverkehr mit Kopenhagen (etwa vergleichbar mit der früheren Situation in Nürnberg / Fürth).

Wesentlich länger unabhängig blieb allerdings der Betrieb der NESA (ein großer Stromkonzern ähnlich RWE), der bis 1953 die selbständigen Gemeinden nördlich der Hauptstadt auf Straßenbahnschienen mit Kopenhagen verband. Die nächsten 18 Jahre verkehrten hier Obusse (bis 1971) und drei Jahre später ging die Verkehrsabteilung der NESA mit elf anderen Gesellschaften in der neuen „Verkehrsgesellschaft der Hauptstadtregion“ (HT) auf. Bemerkenswert ist dabei noch die Tatsache, dass die NESA-Straßenbahnen in ihren späteren Jahren in dem gleichen gelb-weißen Farbschema wie die Fahrzeuge der KS lackiert waren.

Unser Bild vom Rathausplatz zeigt den namensgebenden Bau von 1905 rechts im Bild. Die beiden anderen Türme gehören zum Palace Hotel (Mitte) und zum Hotel Bristol (links). Der Platz war nicht nur das Zentrum des „bürgerlichen“ Kopenhagen, sondern auch das Herzstück des Straßenbahnnetzes. Neben Gleisen am Rande des Platzes kreuzten damals auch zwei Strecken den Platz diagonal und schufen ein großes Gleiskreuz mitten auf der freien Fläche. Darum herum gruppierten sich dann die ersten Bushaltestellen, von denen aus u. a. die naheliegende, enge Altstadt bedient wurde.

Die Doppelstockwagen, von denen wir einen im Vordergrund sehen, waren eine Spezialität der FS, der „Frederiksberg Sporveje“. Was man hier nicht gut erkennen kann: die obere Etage erstreckt sich lediglich über den Hauptwagen und ist auch nur zur Hälfte überdeckt; die andere Hälfte hat kein Dach. Die Fahrzeuge waren schon damals Einrichtungswagen, denn mitten auf dem Oberdeck diente eine senkrechte Stange zwischen den Sitzreihen als Sockel für den Stromabnehmer, der nur über dem offenen Wagenteil frei ausdrehen konnte. Die hintere Plattform war zudem offen, trug die Treppe zum Oberdeck und hatte dadurch keinen Raum für einen Fahrschalter. Immerhin durfte der Fahrer aber schon damals (Baujahr 1915) von einem geschlossenen Plattform profitieren. Auch die KS setzte Doppelstockwagen ein; aber deren Auslegung war symmetrisch für beide Richtungen.

Ein weiteres interessantes Detail erkennen wir ganz rechts am Bildrand: Der Wagen auf Linie 8 trägt schon eine der großen Nummerntafeln, die so markant für die Kopenhagener Straßenbahn standen.

Was die Rolle der Straßenbahn als Stadtverkehrsmittel angeht, hat sich in Dänemark mittlerweile der Wind gedreht: In Aarhus fährt seit dem letzten Jahr wieder eine „Letbane“, was man mit „leichter Bahn“ übersetzen könnte. Es handelt sich dabei um ein Tram-Train-Konzept, das etwas an Heilbronn erinnert. In Odense ist das entsprechende Projekt ebenfalls auf dem Weg der Realisierung (Eröffnung geplant für 2020). Auch nach Kopenhagen soll die Straßenbahn zurückkehren; der Bau einer 28 km langen Ringbahn ist beauftragt; 27 vierteilige Avenios von Siemens sollen ab 2024 zum Einsatz kommen.

Zum Schluss noch eine Buchempfehlung: „Der kommer altid en Sporvogn“ heißt das herrlich illustrierte (viele tolle Farbbilder!) Buch von Flemming Soeborg von 2015. Es konzentriert sich zwar auf Kopenhagen, widmet aber auch den anderen beiden ehemaligen Betrieben Kurzportraits, so dass die Straßenbahngeschichte Dänemarks umfassend abgedeckt wird.

-gk- / Foto: Sammlung -gk

KW 37/2018 – Am Wittener Rathaus immer geradeaus…

Guido KorffBild der Woche

Die Szenerie ist bekannt: Der Platz vor dem Wittener Rathaus, dessen wuchtigen Turm wir links sehen. Ihm gegenüber erhebt sich die ev. Johanniskirche über dem Kornmarkt, der viele Jahre lang als Busbahnhof diente. Man beachte: doppelt so viele Straßenbahnwagen wie Pkw im Bild, aber das mag am Wochentag liegen, denn die zahlreichen gutgekleideten Passanten und der Sonnenstand deuten auf einen Sonntagvormittag hin, der nach dem Kirchgang jetzt vielleicht zu einem Schaufensterbummel genutzt wird.

Straßenbahnfreunde fahren in letzter Zeit öfter nach Witten, denn der idyllische eingleisige Gleisabschnitt entlang der Autobahn A 44 soll schon bald durch eine neue Verbindung über den Bochumer Stadtteil Langendreer abgelöst werden. Dann endet auch der Einsatz der M6-Triebwagen im Netz der Bogestra und alle Straßenbahnlinien verkehren endlich barrierefrei / niederflurig.

Die Linie 10 nach Heven – oder 310, wie sie nun schon fast 40 Jahre heißt – war früher nicht die einzige Straßenbahnverbindung in der westfälischen Beinahe-Großstadt (heute 96 Tsd. Einwohner), außerdem war sie auch noch ein Stück länger als heute; sie reichte nach Überquerung der Ruhr bis in den kleinen Ort Herbede.

Wer die gezeigte Stelle in den letzten Jahren besucht hat, kennt die scharfe Kurve, die die Gleise nach links in die Bahnhofstraße nehmen. Ungewohnt wirkt deshalb das Gleispaar, das von den beiden Gastell-Triebwagen auf Linie 7 an den Haltestelleinseln in der Ruhrstraße direkt auf den Betrachter zuläuft. Es ist eben wenig bekannt, dass neben der Linie 12 bzw. 320 nach Witten-Annen-Nord (stillgelegt 1985) auch noch eine Strecke nach Süden, bis zum Denkmal in Bommern, führte. Diese Linie wurde von 1899 bis zum 18. Oktober 1954, zuletzt von der damaligen SL 10, befahren.

In der Blütezeit des Ruhrgebiets entstanden zahlreiche eigenständige Straßenbahngesellschaften, die auch abseits der großen Städte zwischen den mittelständischen Orten leistungsfähige Schienennetze knüpfen wollte. So schob sich die „Märkische Straßenbahn“ ab 1899 wie eine Nord-Süd-“Barriere” zwischen die Netze von Bochum und Dortmund. Im Jahre 1939 verlief unsere Linie fast schnurgerade Richtung Norden und verband als SL 27 Bommern über Witten, Langendreer und Lütgendortmund mit Castrop.

Da das Verkehrsaufkommen in dem noch dünn besiedelten Streifen zwischen den großen Städten nicht ausreichte, schlüpfte die „Märkische Straßenbahn“ schon 1912 unter das Dach der „Bochum-Castroper Straßenbahn“, die ihrerseits im gleichen Jahr in der „Westfälischen Straßenbahn“ aufging. Zwanzig Jahre später (1931) war auch diese Gesellschaft am Ende und wurde Teil der heutigen Bogestra.

Trotz der schwachen wirtschaftlichen Basis versuchten die Eigentümergemeinden immer wieder, die Gesellschaft als Instrument ihrer Wachstumspolitik zu nutzen. Von Bommern aus sollte so das südlicher gelegene Wengern an das Netz angeschlossen werden, um Arbeitskräfte und Einkäufer nach Witten zu locken. Jörg Rudat berichtet in seinem Buch „Bitte zusteigen – Mit der Linie 4 von der Volme an die Ruhr“ sehr anschaulich, wie auch die Hagener Straßenbahn von Wetter her um dieses Fahrgastpotenzial kämpfte und letztlich den Sieg davontrug.

Bemerkenswert ist an dieser Stelle auch noch, dass die kommende neue Verbindung der SL 310 zwischen Langendreer und Witten-Crengeldanz als Abschnitt der Nord-Süd-Strecke der “Märkischen Straßenbahn” also schon einmal Gleise gesehen hat. Bis Ende 1951 konnte man von Witten auf der Schiene mit SL 27 direkt nach Langendreer gelangen, wie es auch demnächst wieder sein wird.

-gk- / Foto: Sammlung -gk

KW 36/2018 – Richmond: Pioniere leben länger…

Guido KorffBild der Woche

Die elektrische Bahn wurde in Deutschland erfunden – sagt man. Werner Siemens (das „von“ wurde ihm erst 1888 verliehen) wird diese Pioniertat zugeschrieben, im Jahre 1879 hatte er damit die Öffentlichkeit überrascht. Auch die praktischen Anwendungsfälle folgten sogleich Schlag auf Schlag: die erste Straßenbahn 1881, der erste Trolleybus 1882.

Aber dann ging es nicht recht weiter, weil ein scheinbar kleines Detail fehlte: ein betriebstaugliches und zuverlässiges System zur Stromzuführung und -rückleitung. Zahllose Versuche mit Kontaktwägelchen und Rohrleitungen in Europas und Nord-Amerika führten nicht zum Ziel. Erst Straßenbahnbetrieb Nr. 75 schaffte den Durchbruch: Richmond in Virgina (USA), eröffnet am 2. Februar 1888.

Haben Sie sich eigentlich schon mal gefragt, warum gerade Richmond und wie dieser Betrieb aussah und was aus ihm geworden ist?

Richmond war seit 1780 Hauptstadt des US-Bundesstaats Virginia. Seine relativ südliche Lage an der Atlantikküste brachte die Region in die Nähe der „Südstaaten“ und damit in die Kampfzone des Bürgerkriegs. Nach heftigen Zerstörungen regenerierte sich die Stadt aber schnell wieder und wurde rasch zu einem industriellen Zentrum, z. B. für die Verarbeitung von Virginia-Tabaken, die von der hier erfundenen, ersten Zigarettendrehmaschine profitierte.

Um 1890 lebten ca. 80.000 Menschen in Richmond, das wegen seines relativ kleinen Stadtgebiets (3 Meilen rund um das Zentrum) als eine der dichtest besiedelten Städte der USA galt. Gute Voraussetzungen also für eine Straßenbahn: Innovationsgeist, Bevölkerungsdichte, ausreichende Reisedistanzen.

Richmond war – wie die meisten Städte in den USA – mit schachbrettförmigem Straßenraster angelegt worden. Zugleich ergab sich aufgrund der Topographie – die Stadt liegt am James River – ein kreuzförmiger Grundriss, der sich auch im Streckennetz abbildete.

Die neue Straßenbahn wurde gezielt eingesetzt, um die Vororte zu besiedeln. Gleichzeitig gab es Verbindungen, die einige „Anziehungspunkte“ für die Einwohner leichter erreichbar machten: das waren einerseits Friedhöfe für gefallene Soldaten des Bürgerkriegs (z. B. der „National Cemetery“ in Seven Pines, ca. 15 km entfernt), andererseits aber auch drei Vergnügungsparks an verschiedenen Endstellen. Hinzu kamen außerdem noch mehrere Überlandlinien, so z. B. in die südliche Nachbarstadt Petersburg (21 Meilen = ca. 34 km).

Was war an der Straßenbahn in Richmond so besonders? Eng verbunden ist sie mit dem Namen Frank Julian Sprague (1857 – 1934), der als Erfinder zahlreicher Verbesserungen im Bereich des elektrischen Verkehrs gilt. In den USA trägt der den Beinamen „Father of Electric Traction“. Ursprünglich Marineoffizier, hatte er später für Thomas Edison gearbeitet.

Sprague entwickelte den von Charles Van Depoele 1885 erfundenen Stromabnehmer zur Praxisreife weiter, bei dem eine Stange mit Federdruck eine Rolle an die Fahrleitung drückte. Weitere Fortschritte brachten seine Ideen zur verbesserten Motoraufhängung und Kraftübertragung. Auch mit der Stromrückgewinnung beim Bremsen soll er sich schon beschäftigt haben.

In Richmond wurde vor allem sein Stangenstromabnehmer zum Erfolgsfaktor. Im Herbst 1887 starteten erste Versuche, am 2. Februar 1888 nahm die “Richmond Union Passenger Railway” ihren Betrieb mit zehn Triebwagen auf. Die Spannung lag bei 450 V, die Wagen verfügten über zwei Motoren zu je 5,6 kW. Die Bahn bewährte sich und so wuchs das System bis Sommer 1888 schon auf 12 Meilen Strecke (ca. 19 km) und 40 Wagen an.

In der hügeligen Landschaft von Virginia waren dabei von Anfang an auch Steigungen um die 10 % zu meistern (z. B. Church Hill). Da dies zuverlässig gelang, trat die neue Straßenbahn in unmittelbaren Wettbewerb mit dem bisherigen „Platzhirsch“ im städtischen Nahverkehr – den Kabelstraßenbahnen („Cable Cars“), die sich um die gleiche Zeit stark ausbreiteten. Ihren endgültigen Durchbruch erlebte die Straßenbahn-Technologie 1889, als in Boston statt Cable Cars eine Straßenbahn nach dem Vorbild der Anlage in Richmond eingerichtet wurde.

Das Patent wurde auch bald nach Deutschland importiert und die AEG erwarb die Stadtbahn Halle (Pferdebahn), um sie bis 1891 entsprechend zu elektrifizieren. Damit gilt ihr Eröffnungstag für den elektrischen Betrieb, der 24. April 1891, als „Geburtstag“ der praxistauglichen Straßenbahn in Deutschland.

Das weitere Schicksal des Trambetriebs in Richmond ist schnell erzählt. Gegründet als Privatgesellschaft, erfolgte 1925 die Übernahme durch den lokalen Stromversorger. Ein Gerichtsentscheid im Jahre 1944 verpflichtete den Stromversorger, sich auf sein Kerngeschäft zu konzentrieren und die Bahn in die neue „Virginia Transit Company“ einzubringen. Diese begann 1947 mit der Umstellung auf Omnibusse. Da seit dem Eigentumsübergang in den 20er Jahre nicht mehr in modernes Wagenmaterial (z. B. PCC) investiert worden war, wirkten die neuen Omnibusse auch durchaus als attraktive Alternative.

Unser Bild zeigt eine Szene aus dem letzten Jahr vor der Betriebseinstellung. Tw 468 lässt im Talgrund am James River einen Güterzug der Southern Railway passieren. Über die Brücke im Vordergrund verläuft eine Bahnstrecke einer anderen Gesellschaft. Das „klotzige“ Hochaus in Bildmitte existiert heute noch und gehört zu den Regierungsgebäuden des Bundesstaats. Es verdeckt das „State Capitol“, das einem griechischen Tempel nachempfunden ist.

Der Straßenbahnverkehr in Richmond endete am 25. November 1949. Erst im Jahre 2018 kehrte ein neuzeitliches und schnelles Verkehrsmittel für den Stadtverkehr nach Richmond zurück: „GRTC Pulse“ – eine 11 km lange Schnellbus-Linie mit teilweise eigenen Fahrbahnen.

-gk- / Foto: Sammlung -gk

Anmerkung: Die Recherche zu diesem Beitrag wurde stark erschwert, weil als Antwort auf die Datenschutz-Grundverordnung der EU zahlreiche US-amerikanische Websites mittlerweile für europäische Besucher gesperrt wurden.

KW 35/2018 – Köln: Auf dem Weg zur “autogerechten” Stadt

Guido KorffBild der Woche

Köln gehört zu den deutschen Großstädten, denen man nachsagt, sie hätten aus den Kriegsruinen eine „autogerechte“ Stadt entstehen lassen wollen. Wie immer, hat man es in Köln aber wieder einmal anders umgesetzt als anderswo. Während Düsseldorf oder Hannover ihre Innenstädte mit riesigen Hochstraßen verschandelt haben, blieb Köln am Boden und schickte die Autos im Zentrum stellenweise sogar unter die Erde.

Die sog. „Nord-Süd-Fahrt“ bildet eine kurze Verbindung zwischen den Abschnitten der „Ringe“ im Norden und Süden der Altstadt. Sie ist ca. 3,3 km lang und stellenweise bis zu 40 m breit. Sie quert die oberirdische Ost-West-Achse von der Deutzer Brücke zum Rudolfplatz östlich vom Neumarkt in einem Straßentunnel. Wir blicken hier auf diese Kreuzung mit der Cäcilienstraße, deren Bebauung auf der Nordseite heute die sichtbaren Lücken geschlossen und auch den tiefergelegten Teil der Nord-Süd-Fahrt überdeckt hat.

Die Kölner Innenstadt, die auf römische Wurzeln zurückgeht, war bis zum Zweiten Weltkrieg sehr dicht bebaut. Selbst für die elektrische Straßenbahn ließ sich nur mit Mühe eine Route durch die engen Gassen finden und es konnten nur kleine Einzeltriebwagen eingesetzt werden. Etwas breiter waren nur die heute noch befahrene Ost-West-Achse über den Neumarkt und die nördlicher gelegene Christophstraße, die von Westen her zum Hauptbahnhof vorstieß. Da nach dem Krieg der Teil der Hohenzollernbrücke für den Straßenverkehr nicht wiederaufgebaut wurde, war der Hauptbahnhof nur noch über diese Stichstrecke ab Friesenplatz angebunden. Für die Fahrgäste nach Süden oder Norden brachte diese Führung große Umwege mit sich.

Deshalb war es naheliegend, die Straßenbahn in der Altstadt unter die Erde zu verlegen, um eine Nord-Süd-Durchquerung einzurichten. Nach ersten Plänen im Jahre 1956 erfolgte 1963 der Baubeginn und 1968 die Eröffnung des ersten Tunnels unter der Christophstraße. Die heutigen Verbindungen zum Barbarossaplatz und zur Severinstraße via Neumarkt folgten 1970.

Das Problem der engen Straßen im Zentrum plagte natürlich auch den Autoverkehr. Der bekannte Hamburger Stadtplaner Fritz Schumacher kam 1920 nach Köln und entwickelte in den folgenden Jahren Vorschläge für eine Nord-Süd-Achse, die aber alle historischen Sehenswürdigkeiten sorgsam aussparen sollte. In den 30er Jahren wurde daraus dann ein pompöses Achsenkreuz als Aufmarschstraße, mit dessen Bau westlich des Neumarkts sogar begonnen wurde.

Sah es nach dem Krieg zunächst so aus, als sei die Rücksicht auf die historische Stadtstruktur zurückgekehrt, wurde später eine breite Schneise favorisiert, die bewusst die alten Strukturen durchtrennen sollte. Hätte man das Ganze – wie später angedacht – in Tieflage oder gar als Tunnel gebaut, wäre der Schaden für das Stadtbild überschaubar geblieben. Dafür fehlte aber das Geld und deshalb wurde nur der auf unserer Ansichtskarte sichtbare Teil tiefer gelegt und später teilweise überbaut.

Diesen Abschnitt überquert gerade ein Vorortbahn-Zug aus einem Triebwagen der Serie 1141-1165 und einem dazu passenden Steuerwagen aus der Reihe 2141-2161, gebaut im Jahr 1958 bei der DWM in Berlin, um in den Genuss der “Berlin-Förderung” zu kommen. Köln hatte auf den Fernlinien mit Mitteleinstiegen gute Erfahrungen gemacht und an dieser Bauform sogar noch in der Nachkriegszeit festgehalten. Offiziell galten die Wagen als „Neuaufbauten“, waren aber praktisch komplett neu.

Mitte der 60er Jahre wurden die rechtsrheinischen Vorortbahnen in das Stadtnetz integriert und auf Düwag-Wagen umgestellt. Die letzten Mitteleinstiegswagen wurden daher 1967/68 ausgemustert und teilweise noch an die Wiener Lokalbahnen verkauft.

Am linken Bildrand sehen wir außerdem die Front eines der kleinen Zweiachser im „Düwag“-Design, deren stählerne Wagenkästen auf alte Untergestelle von Holzwagen gesetzt wurden. Damit entstand eine „modernere“ Variante der bekannten Aufbauwagen. Es könnte sich aber auch um einen Kölner „Sputnik“ handeln, bei dem die Kapazität dieser Zweiachser durch einen Nachläufer mit Drehgestell deutlich erweitert wurde. Auch die Sputniks wurden bis 1968 ausgemustert.

Beide Baureihen kann man heute im Kölner Straßenbahnmuseum Thielenbruch anschauen. Gesellschaft leistet Ihnen Tw 1824 aus dem Jahre 1939, der seinerzeit für die „Rundbahn“-Linie 18 durch die Kölner Altstadt beschafft wurde. Um die engen Kurven befahren zu können, rollt er auf einem dreiachsigen Fahrgestell nach dem Muster der schweizerischen Firma SLM. Heute gehört er zu den wenigen Fahrzeugen aus der Vorkriegszeit in der Kölner Sammlung.

-gk- / Foto: Sammlung -gk

KW 34/2018 – Elberfeld: Die Schwebebahn auf Reisen

Guido KorffBild der Woche

Nein, das sind nicht Vater und Sohn Schmerenbeck, die hier stolz ihre Schwebebahn-Modelle präsentieren. Vielmehr heißen die beiden Herren Paul Faßbender und Moritz Frank, wie uns diese Werbepostkarte auf ihrer Rückseite verrät. Sie gaben als Wohnort Wuppertal-Elberfeld an, womit wir ihr Modell den 30er Jahren zuordnen können. Einen ähnlichen Hinweis liefert der Text auf der Vorderseite, der davon berichtet, dass die Schwebebahn in 30 Jahren etwa 300 Millionen Menschen befördert habe.

Die Rückseite informiert weiter darüber, dass die Erbauer ihre Modelle in zweieinhalb Jahren aus Ahornholz angefertigt und dazu „primitive Werkzeuge“ benutzt hätten. Dies spricht dafür, dass die Herren Faßbender und Frank in der Weltwirtschaftskrise nach 1929 ihren Arbeitsplatz verloren, aber nicht resigniert haben, sondern die neue, erzwungene Freizeit sinnvoll zu nutzen wussten.

Neben einer Station sehen wir ein kurzes Streckenstück. Die Gerüstkonstruktion scheint im Bereich der Fahrschiene seltsam flach; hier dürfte die Nachbildung nicht ganz vorbildgerecht sein. Wir zählen insgesamt vier Wagen, die alle der Baureihe 00/12 angehören. Sie wirken unmaßstäblich verkürzt. Angetrieben waren sie sicher nicht; dazu fallen die Fahrgestelle zu klein aus. Immerhin wurden aber die Speichenräder nachgebildet.

Etwas skurril mutet das dreiachsige Untergestell der Modellkonstruktion an, das wohl teilweise aus Fahrrad-Rädern besteht. Immerhin wurde damit eine gewisse „Mobilität“ für das Ganze geschaffen. Die beiden Modellbauer dürften auf Volksfesten und ähnlichen Veranstaltungen im Umkreis von Wuppertal unterwegs gewesen sein, um durch Spenden von Zuschauern ein bescheidenes Einkommen zu erzielen. Wahrscheinlich wurde bei solchen Gelegenheiten auch die abgebildete Ansichtskarte verkauft.

Völlig erfolglos kann die Sache nicht gewesen sein, denn es gibt eine weitere Ansichtskarte, die eine gewisse Weiterentwicklung erkennen lässt. Der Text auf der Vorderseite ist zwar identisch, aber jetzt scheint wohl nur noch Paul Faßbender (der linke, etwas größere Herr auf unserem Bild) mit dem Modell unterwegs zu sein. Nicht nur, dass nur noch eine Person stolz neben dem rollenden Ausstellungsstück posiert, auch die Erläuterung auf der Rückseite nennt den Partner nicht mehr, lässt uns dafür aber – bei sonst gleichem Text – wissen, dass Paul Faßbender ein „ungelernter Arbeiter“ war.

Der Unterbau weist jetzt auch nur noch zwei Achsen auf, die aber beide von einem Lkw zu stammen scheinen und entsprechend stabil wirken. Zusätzlich wölben sich drei portalartige Stangen über das Modell, die nach oben zur Mitte zusammengerollte Stoffbahnen tragen. Das Modell konnte also jetzt zeitweise vor der Witterung geschützt werden.

Diese zweite Ansichtskarte ist im April 1939 in Leipzig zur Zeit der dortigen Frühjahrsmesse auf die Post gegeben worden; dies lässt ein schöner Stempel erkennen. Wir dürfen also wohl annehmen, dass Paul Faßbender mit seinem Modell vor Ort war. Ein Transparent an der Stange für die Schutzvorhänge spricht sogar von einer „Europareise“ – Details sind aber leider nicht zu entziffern.

Und damit endet unsere Betrachtung zu der reisenden Schwebebahn von Paul Faßbender. Weiß vielleicht jemand, was aus dem schönen Modell geworden ist?

-gk- / Foto: Sammlung -gk

KW 33/2018 – Le Mans: Lassen Sie sich kein „X“ für ein „U“ vormachen…

Guido KorffBild der Woche

Spannende Brückenkonstruktionen faszinieren den Betrachter. So gehört die Kohlfurther Brücke mit ihren markanten Portalen fest zur „Identität“ unseres Straßenbahnmuseums. Auch andernorts sind Brücken beliebte Fotomotive und wurden auf Ansichtskarten verewigt. Heute zeigen wir jedoch eine Konstellation, die selbst Ihren Redakteur überrascht hat.

Le Mans liegt im Nordwesten Frankreichs, etwa auf halbem Weg zwischen Paris und Rennes (Bretagne). Die Stadt ist bei uns vor allem als Ort einer Straßenrennstrecke („24 Stunden-Rennen“) bekannt. Le Mans ist an das TGV-Netz angeschlossen und verfügt seit 2007 über eine moderne „neue“ Straßenbahn mit zwei Linien und 18,8 km normalspuriger Strecke, die vor allem durch ihre vergleichsweise geringen Baukosten positiv aufgefallen ist.

Wo es eine „neue“ Tram gibt, war vorher zumeist schon eine „alte“. In Le Mans verkehrten bis 1947 die meterspurigen Wagen der „Compagnie de l’Ouest Électrique“ (COE). Ergänzt wurde dieses Angebot durch die ebenfalls meterspurigen Lokalbahnzüge der „Compagnie des Tramways de la Sarthe“, die im gleichen Jahr wie die elektrische Bahn ihren Betrieb einstellte und Le Mans in der Innenstadt für ziemlich genau 60 Jahre schienenfrei machte.

Sarthe heißt auch der Fluss, der Le Mans durchquert. Im Norden der Innenstadt – zu Füßen der Kathedrale – kreuzten sich beide Bahnen im rechten Winkel – und das genau über der Sarthe! Auf dem Bild sehen wir somit gleich drei Flussbrücken dicht beieinander.

Beginnen wir ganz links mit der „normalen“ Straßenbrücke. Rechts hinten kommt vom Hauptbahnhof die Strecke der Dampfbahn heran, die die Innenstadt am Rande passiert hat. Nach der Flussquerung geht es links nach Ségrie weiter. Als dritte Brücke erkennen wir dann die Route der Straßenbahn, die den Höhenrücken mit der Kathedrale in einer Unterführung (vor Ort „Tunnel“ genannt) unterfahren hat und sich rechts im Vordergrund zum „Allgemeinen Krankenhaus“ fortsetzt. Man beachte den großen Bogen, der – diagonal über der Schienenkreuzung angebracht – die Fahrleitung der Tram trägt.

Der kleine Straßenbahnbetrieb in Le Mans bestand aus drei Linien, die 1897 eröffnet wurden. Der Niedergang begann 1936 mit der Stilllegung der Tram über die gezeigte Brücke. Zwar hatte die Bahngesellschaft schon 1933 einen Vetra-Obus getestet, aber statt eines Trolleybus-Betriebs wurden Renault-Omnibusse beschafft. Erst 1944 erzwang der Kraftstoffmangel den Einsatz von Obussen auf der ehemaligen Linie 3. Als nach dem Krieg neue Fahrzeuge verfügbar wurden, übernahm der Obus auch den restlichen Trambetrieb und hielt sich bis 1969.

Die Dampfbahn hatte sich ab 1882 über das Umland ausgebreitet und in ihren besten Jahren ein sternförmiges Netz von 416 km unterhalten – mit Le Mans im Zentrum. Trotz des frühen Endes der Bahn im Jahre 1947 sind drei Dampf-Tramway-Loks bei zwei verschiedenen Museumsbahnen erhalten; die Nr. 60 von 1898 sogar einsatzfähig! Außerdem haben fünf Personenwagen – zwei Zweiachser und drei Drehgestellwagen – ebenfalls überlebt.

Das Krankenhaus am früheren Ende der Linie 3 wird heute wieder auf Straßenbahnschienen erreicht. Es liegt an der neuen Linie „T1“, die jedoch viel weiter nach Westen als früher zur Universität weiterfährt. Sie überquert die Sarthe aber auf einer anderen, 400 m weiter südlich gelegenen Brücke, die damals schon von der Linie 2 zum Friedhof genutzt worden war.

-gk- / Foto: Sammlung -gk

KW 32/2018 – Los Angeles: Die passende Tram zur Hitzewelle

Guido KorffBild der Woche

Los Angeles gilt vielen Menschen als die „autogerechte Stadt“ schlechthin. Endlose Boulevards und niedrige Bebauung mit geringer Bewohnerdichte sprechen eigentlich gegen die Bedienung mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Und doch wurde genau dieses Stadtgebilde jahrzehntelang von der „Pacific Electric Electric Railway“, einer der größten Interurbans der USA / Welt (Netzgröße ca. 1.600 km Normalspur) erschlossen. Im Stadtzentrum verkehrte zusätzlich auch noch die „Los Angeles Railway“ auf 1.067 mm Spurweite und 20 Linien. Beide Bahngesellschaften stellten ihren Schienenbetrieb aber schon Anfang der 60er Jahre ein (1961 bzw. 1963).

Die Pacific Electric bediente auf mehreren Strecken auch die Badestrände im Westen der Stadt. Aus Großbritannien hatte man die Idee mitgebracht, große Piers in das flache Meer zu treiben und mit vielen Unterhaltungseinrichtungen auszustatten, seien es Restaurants, Tanzlokale oder Karussells und Fahrgeschäfte. Sondertarife für die Ausflügler sorgten für regen Publikumsverkehr, der sowohl der Interurban als auch den örtlichen Gastronomen zugute kam.

Die Investoren der Piers lieferten sich zwar erbitterte Kämpfe um die Kunden, konnten letztendlich aber nicht verhindern, dass weitere Attraktionen in Strandnähe entstanden und die Uferpromenade zwischen den Piers von Venice und Santa Monica – ca. 5 km lang – damit im Laufe der Jahre immer dichter besetzt wurde.

Aus amerikanischen Fernsehserien kennt man die Szenen, wenn Jogger oder Inliner auf diesem Weg unterwegs sind. Vor hundert Jahren erlaubten lange Kleider und enge Röcke diese rasche Art der Fortbewegung noch nicht. Da die US-Amerikaner aber immer schon offen für Innovationen waren, nahm 1916 das hier abgebildete Verkehrsmittel seinen Service auf.

Die Beschriftung der Ansichtskarte spricht eindeutig von einer „Electric Tram“, obwohl weder Gleise noch Stromzuführung zu erkennen sind. Die US-Amerikaner nehmen es mit dem Begriff „Tram“ aber nicht so genau und bezeichnen damit auch häufig nicht an Schienen gebundene Vehikel. Die Fahreigenschaften könnten aber trotzdem akzeptabel ausgefallen sein, denn die Rollbahnen waren damals schon durchgehend betoniert. Bei den Besuchern hieß die Promenade deshalb auch „Cement Way“.

„Elektrisch“ sind die fahrenden Sofas jedoch auf jeden Fall, denn unter den Sitzflächen aus Korbgeflecht verbergen sich Batterien. Gesteuert wurde das hier abgebildete Gefährt über nur zwei Schalthebel an einem Ende des Fahrzeugs (hier ist links gerade noch das obere Ende von einem Hebel zu erkennen); einer davon betätigte die mechanische Bremse, der andere müsste dann die Richtung vorgeben haben (wie bei den frühen Elektrokarren). Auf anderen Fotos erkennt man auch „Zweirichtungswagen“ mit Hebeln an beiden Enden und sogar eine Version mit Lenkrad. Wie man hier auch sieht, zeigen sich alle Fahrgäste „wohlbehütet“; zum Schutz gegen die Sonne gab es aber auch noch aufsteckbare Dächer.

Die Wagenführer waren adrett uniformiert und kassierten das Fahrgeld mit umgehängten Wechslern, auch Damen kamen schon zum Einsatz. Seinerzeit wurden sie etwas schräg als „Motormanette(s)“ bezeichnet, aber waren eine Attraktion für sich.

Zu Beginn der 30er Jahre übernahm auch hier der Benzinmotor das Regiment. Die kleinen Fahrzeuge sollen dann noch bis etwa 1970 auf der Promenade unterwegs gewesen sein. In dem Jahr wurde der Pier in Santa Monica für einen längeren Umbau geschlossen und einem Brand in der geschlossenen Anlage dürfte auch die kleine „Tram“ zum Opfer gefallen sein.

Seit 1990 hat Los Angeles wieder städtischen Nahverkehr auf Schienen, der heute zwei U-Bahn-Linien und vier Stadtbahnlinien befährt. Die U-Bahnen haben sich angesichts der lockeren Bebauung als überdimensioniert herausgestellt (tja!), während die Stadtbahnen genau zu passen scheinen. Deren Netz wird daher auch weiter ausgebaut.

Die jüngste Stadtbahnlinie, die „Expo Line“, erreicht seit 2016 auch wieder die Ortsmitte von Santa Monica. Wenn es unser kleines Bähnchen noch gäbe, könnte man von hier aus nach wenigen Schritten die Promenade entlangfahren – im umweltbewussten Kalifornien sicher auch wieder mit Batterieantrieb!

-gk- / Foto: Sammlung -gk

KW 31/2018 – Stuttgart: Tagblatt-Turm und Tram – Kennzeichen einer modernen Stadt

Guido KorffBild der Woche

Man sagt den Schwaben ja eine gewisse Gemütlichkeit und „Provinzialität“ nach. Vermutlich sind dafür die Sprache, aber sicher auch so traditionelle Phänomene wie die „Kehrwoche“ verantwortlich. Am Denkvermögen mangelt es den Schwaben jedoch nicht – so sind doch rund um Stuttgart eine Reihe bedeutender Erfindungen entstanden und die dortige mittelständische Industrie gehört nach wie vor zu den Konjunkturmotoren unserer Wirtschaft.

Auch mit ihrer Stadtentwicklung im weitesten Sinne fällt die Schwabenmetropole immer wieder positiv auf – mal abgesehen vom Projekt „Stuttgart 21“ – aber das ist ja auch woanders erdacht worden. Die „Stuttgarter Straßenbahnen SSB“ haben es dagegen vollbracht, ihren meterspurigen Straßenbahnbetrieb nicht nur weitgehend vollständig auf eine normalspurige Stadtbahn umzurüsten, sondern damit auch noch einen der höchsten Kostendeckungsgrade deutscher Verkehrsbetriebe (2016: 94,1 %) zu erwirtschaften. Selbst die Tradition kommt dabei nicht zu kurz – immerhin haben die Stuttgarter ihre Zahnradbahn noch!

An dieser Stelle sei aber die aktuelle Anmerkung erlaubt, dass selbst bei diesem leistungsfähigen Verkehrsnetz noch „Luft nach oben“ bleibt: die Nutzung der Bahnen und Busse in dem feinstaubgeplagten Talkessel könnte und müsste durchaus noch intensiver sein! Die Fahrtenzahl pro Einwohner ist zwar überdurchschnittlich, aber vom Freiburger Niveau noch weit entfernt – wobei man aber auch bedenken muss, dass die halbe Stadt vom Automobilbau lebt!

Die Höhepunkte des Stuttgarter Stadtbilds werden außerhalb der Stadt zumeist unter Wert verkauft. Deshalb seien hier beispielhaft die Weißenhofsiedlung am Killesberg (1927, „Neues Bauen“) – direkt neben dem Höhenpark mit seiner dampfenden Parkeisenbahn! – und die Neue Staatsgalerie (1974, Postmoderne) genannt. Zuletzt setzten Daimler und Porsche mit ihren Werksmuseen ebenfalls deutliche Akzente.

In die Zeit der Weißenhofsiedlung fällt auch der hier sichtbare Tagblatt-Turm, dessen Name seine Nutzung als Sitz einer Zeitungsredaktion (bis 1978) verrät. Er entstand 1927/28 ebenfalls im Stil des „Neuen Bauens“ und als erstes deutsches Hochhaus in Sichtbetonbauweise. Das galt seinerzeit als sehr gewagt, während sich die ersten Hochhäuser anderswo durch traditionelle Fassadenverkleidungen bei ihren kleineren Nachbarn anbiederten.

Der Tagblatt-Turm ragt mit seinen 61 m Höhe auch heute noch recht markant aus seiner Umgebung hervor, weil sich Stuttgart mit dem Bau von Hochhäusern deutlich zurückgehalten hat. Das Gebäude steht an der Eberhardstraße, etwas östlich vom oberen Ende der Fußgängerzone.

Das Foto mit der Straßenbahn kann man seit 1969 nicht mehr in dieser Form machen, da die Strecke dem U-Bahn-Bau weichen musste. Seit Oktober 1971 verkehrte sie dann wieder – jetzt unterirdisch – als Verbindung zwischen den Haltestellen „Rathaus“ und „Österreichischer Platz“ (sog. „Tallängslinie“) über das Gleisdreieck an der Torstraße zum Rotebühlplatz. Die zwischenzeitliche Rampe „Wilhelmsbau“ lag aber schon ca. 200 m westlich vom Tagblatt-Turm.

Beiwagen 829 hatte dem Tagblatt-Turm zwei Lebensjahre voraus: Er wurde 1926 beim Hauslieferanten, der Maschinenfabrik Esslingen, gebaut. Die schlichte Karosserieform und das glatte Tonnendach passen gut zum Stil des Hochhauses. Bw 829 und sehr viele seiner Artgenossen in der Serie 801 – 872 (insgesamt 58 Wagen) fielen dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Nach dem Krieg standen Bemühungen zum Erhalt historischer Wagen ebenfalls unter keinem Stern; mehrfach scheiterten Straßenbahnfreunde daran, die ihnen zugesagten Fahrzeuge angemessen unterzubringen. So gibt es heute keinen einsatzfähigen Stuttgarter Beiwagen aus den Vorkriegsjahren mehr; das einzige gerettete Exemplar fand über Kärnten und Hannover in seine Heimat zurück und befindet sich in schlechtem, nicht betriebsfähigem Zustand.

Da können wir uns freuen, dass sich historische Trams und Tagblatt-Turm auch heute noch wenigstens beinahe begegnen könnten, denn die dreischienige Oldtimer-Ringline 21 führt im Tunnel vor dem Hochhaus vorbei. Der Konjunktiv ist aber leider berechtigt, denn die Rundfahrt ist noch für einige Jahre wegen des Neubaus der Station „Staatsgalerie“ unterbrochen. Verantwortlich dafür ist „Stuttgart 21“ – womit sich der Kreis wieder schließt!
-gk- / Foto: Sammlung -gk