KW 34/2018 – Elberfeld: Die Schwebebahn auf Reisen

Guido KorffBild der Woche

Nein, das sind nicht Vater und Sohn Schmerenbeck, die hier stolz ihre Schwebebahn-Modelle präsentieren. Vielmehr heißen die beiden Herren Paul Faßbender und Moritz Frank, wie uns diese Werbepostkarte auf ihrer Rückseite verrät. Sie gaben als Wohnort Wuppertal-Elberfeld an, womit wir ihr Modell den 30er Jahren zuordnen können. Einen ähnlichen Hinweis liefert der Text auf der Vorderseite, der davon berichtet, dass die Schwebebahn in 30 Jahren etwa 300 Millionen Menschen befördert habe.

Die Rückseite informiert weiter darüber, dass die Erbauer ihre Modelle in zweieinhalb Jahren aus Ahornholz angefertigt und dazu „primitive Werkzeuge“ benutzt hätten. Dies spricht dafür, dass die Herren Faßbender und Frank in der Weltwirtschaftskrise nach 1929 ihren Arbeitsplatz verloren, aber nicht resigniert haben, sondern die neue, erzwungene Freizeit sinnvoll zu nutzen wussten.

Neben einer Station sehen wir ein kurzes Streckenstück. Die Gerüstkonstruktion scheint im Bereich der Fahrschiene seltsam flach; hier dürfte die Nachbildung nicht ganz vorbildgerecht sein. Wir zählen insgesamt vier Wagen, die alle der Baureihe 00/12 angehören. Sie wirken unmaßstäblich verkürzt. Angetrieben waren sie sicher nicht; dazu fallen die Fahrgestelle zu klein aus. Immerhin wurden aber die Speichenräder nachgebildet.

Etwas skurril mutet das dreiachsige Untergestell der Modellkonstruktion an, das wohl teilweise aus Fahrrad-Rädern besteht. Immerhin wurde damit eine gewisse „Mobilität“ für das Ganze geschaffen. Die beiden Modellbauer dürften auf Volksfesten und ähnlichen Veranstaltungen im Umkreis von Wuppertal unterwegs gewesen sein, um durch Spenden von Zuschauern ein bescheidenes Einkommen zu erzielen. Wahrscheinlich wurde bei solchen Gelegenheiten auch die abgebildete Ansichtskarte verkauft.

Völlig erfolglos kann die Sache nicht gewesen sein, denn es gibt eine weitere Ansichtskarte, die eine gewisse Weiterentwicklung erkennen lässt. Der Text auf der Vorderseite ist zwar identisch, aber jetzt scheint wohl nur noch Paul Faßbender (der linke, etwas größere Herr auf unserem Bild) mit dem Modell unterwegs zu sein. Nicht nur, dass nur noch eine Person stolz neben dem rollenden Ausstellungsstück posiert, auch die Erläuterung auf der Rückseite nennt den Partner nicht mehr, lässt uns dafür aber – bei sonst gleichem Text – wissen, dass Paul Faßbender ein „ungelernter Arbeiter“ war.

Der Unterbau weist jetzt auch nur noch zwei Achsen auf, die aber beide von einem Lkw zu stammen scheinen und entsprechend stabil wirken. Zusätzlich wölben sich drei portalartige Stangen über das Modell, die nach oben zur Mitte zusammengerollte Stoffbahnen tragen. Das Modell konnte also jetzt zeitweise vor der Witterung geschützt werden.

Diese zweite Ansichtskarte ist im April 1939 in Leipzig zur Zeit der dortigen Frühjahrsmesse auf die Post gegeben worden; dies lässt ein schöner Stempel erkennen. Wir dürfen also wohl annehmen, dass Paul Faßbender mit seinem Modell vor Ort war. Ein Transparent an der Stange für die Schutzvorhänge spricht sogar von einer „Europareise“ – Details sind aber leider nicht zu entziffern.

Und damit endet unsere Betrachtung zu der reisenden Schwebebahn von Paul Faßbender. Weiß vielleicht jemand, was aus dem schönen Modell geworden ist?

-gk- / Foto: Sammlung -gk

KW 33/2018 – Le Mans: Lassen Sie sich kein „X“ für ein „U“ vormachen…

Guido KorffBild der Woche

Spannende Brückenkonstruktionen faszinieren den Betrachter. So gehört die Kohlfurther Brücke mit ihren markanten Portalen fest zur „Identität“ unseres Straßenbahnmuseums. Auch andernorts sind Brücken beliebte Fotomotive und wurden auf Ansichtskarten verewigt. Heute zeigen wir jedoch eine Konstellation, die selbst Ihren Redakteur überrascht hat.

Le Mans liegt im Nordwesten Frankreichs, etwa auf halbem Weg zwischen Paris und Rennes (Bretagne). Die Stadt ist bei uns vor allem als Ort einer Straßenrennstrecke („24 Stunden-Rennen“) bekannt. Le Mans ist an das TGV-Netz angeschlossen und verfügt seit 2007 über eine moderne „neue“ Straßenbahn mit zwei Linien und 18,8 km normalspuriger Strecke, die vor allem durch ihre vergleichsweise geringen Baukosten positiv aufgefallen ist.

Wo es eine „neue“ Tram gibt, war vorher zumeist schon eine „alte“. In Le Mans verkehrten bis 1947 die meterspurigen Wagen der „Compagnie de l’Ouest Électrique“ (COE). Ergänzt wurde dieses Angebot durch die ebenfalls meterspurigen Lokalbahnzüge der „Compagnie des Tramways de la Sarthe“, die im gleichen Jahr wie die elektrische Bahn ihren Betrieb einstellte und Le Mans in der Innenstadt für ziemlich genau 60 Jahre schienenfrei machte.

Sarthe heißt auch der Fluss, der Le Mans durchquert. Im Norden der Innenstadt – zu Füßen der Kathedrale – kreuzten sich beide Bahnen im rechten Winkel – und das genau über der Sarthe! Auf dem Bild sehen wir somit gleich drei Flussbrücken dicht beieinander.

Beginnen wir ganz links mit der „normalen“ Straßenbrücke. Rechts hinten kommt vom Hauptbahnhof die Strecke der Dampfbahn heran, die die Innenstadt am Rande passiert hat. Nach der Flussquerung geht es links nach Ségrie weiter. Als dritte Brücke erkennen wir dann die Route der Straßenbahn, die den Höhenrücken mit der Kathedrale in einer Unterführung (vor Ort „Tunnel“ genannt) unterfahren hat und sich rechts im Vordergrund zum „Allgemeinen Krankenhaus“ fortsetzt. Man beachte den großen Bogen, der – diagonal über der Schienenkreuzung angebracht – die Fahrleitung der Tram trägt.

Der kleine Straßenbahnbetrieb in Le Mans bestand aus drei Linien, die 1897 eröffnet wurden. Der Niedergang begann 1936 mit der Stilllegung der Tram über die gezeigte Brücke. Zwar hatte die Bahngesellschaft schon 1933 einen Vetra-Obus getestet, aber statt eines Trolleybus-Betriebs wurden Renault-Omnibusse beschafft. Erst 1944 erzwang der Kraftstoffmangel den Einsatz von Obussen auf der ehemaligen Linie 3. Als nach dem Krieg neue Fahrzeuge verfügbar wurden, übernahm der Obus auch den restlichen Trambetrieb und hielt sich bis 1969.

Die Dampfbahn hatte sich ab 1882 über das Umland ausgebreitet und in ihren besten Jahren ein sternförmiges Netz von 416 km unterhalten – mit Le Mans im Zentrum. Trotz des frühen Endes der Bahn im Jahre 1947 sind drei Dampf-Tramway-Loks bei zwei verschiedenen Museumsbahnen erhalten; die Nr. 60 von 1898 sogar einsatzfähig! Außerdem haben fünf Personenwagen – zwei Zweiachser und drei Drehgestellwagen – ebenfalls überlebt.

Das Krankenhaus am früheren Ende der Linie 3 wird heute wieder auf Straßenbahnschienen erreicht. Es liegt an der neuen Linie „T1“, die jedoch viel weiter nach Westen als früher zur Universität weiterfährt. Sie überquert die Sarthe aber auf einer anderen, 400 m weiter südlich gelegenen Brücke, die damals schon von der Linie 2 zum Friedhof genutzt worden war.

-gk- / Foto: Sammlung -gk

KW 32/2018 – Los Angeles: Die passende Tram zur Hitzewelle

Guido KorffBild der Woche

Los Angeles gilt vielen Menschen als die „autogerechte Stadt“ schlechthin. Endlose Boulevards und niedrige Bebauung mit geringer Bewohnerdichte sprechen eigentlich gegen die Bedienung mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Und doch wurde genau dieses Stadtgebilde jahrzehntelang von der „Pacific Electric Electric Railway“, einer der größten Interurbans der USA / Welt (Netzgröße ca. 1.600 km Normalspur) erschlossen. Im Stadtzentrum verkehrte zusätzlich auch noch die „Los Angeles Railway“ auf 1.067 mm Spurweite und 20 Linien. Beide Bahngesellschaften stellten ihren Schienenbetrieb aber schon Anfang der 60er Jahre ein (1961 bzw. 1963).

Die Pacific Electric bediente auf mehreren Strecken auch die Badestrände im Westen der Stadt. Aus Großbritannien hatte man die Idee mitgebracht, große Piers in das flache Meer zu treiben und mit vielen Unterhaltungseinrichtungen auszustatten, seien es Restaurants, Tanzlokale oder Karussells und Fahrgeschäfte. Sondertarife für die Ausflügler sorgten für regen Publikumsverkehr, der sowohl der Interurban als auch den örtlichen Gastronomen zugute kam.

Die Investoren der Piers lieferten sich zwar erbitterte Kämpfe um die Kunden, konnten letztendlich aber nicht verhindern, dass weitere Attraktionen in Strandnähe entstanden und die Uferpromenade zwischen den Piers von Venice und Santa Monica – ca. 5 km lang – damit im Laufe der Jahre immer dichter besetzt wurde.

Aus amerikanischen Fernsehserien kennt man die Szenen, wenn Jogger oder Inliner auf diesem Weg unterwegs sind. Vor hundert Jahren erlaubten lange Kleider und enge Röcke diese rasche Art der Fortbewegung noch nicht. Da die US-Amerikaner aber immer schon offen für Innovationen waren, nahm 1916 das hier abgebildete Verkehrsmittel seinen Service auf.

Die Beschriftung der Ansichtskarte spricht eindeutig von einer „Electric Tram“, obwohl weder Gleise noch Stromzuführung zu erkennen sind. Die US-Amerikaner nehmen es mit dem Begriff „Tram“ aber nicht so genau und bezeichnen damit auch häufig nicht an Schienen gebundene Vehikel. Die Fahreigenschaften könnten aber trotzdem akzeptabel ausgefallen sein, denn die Rollbahnen waren damals schon durchgehend betoniert. Bei den Besuchern hieß die Promenade deshalb auch „Cement Way“.

„Elektrisch“ sind die fahrenden Sofas jedoch auf jeden Fall, denn unter den Sitzflächen aus Korbgeflecht verbergen sich Batterien. Gesteuert wurde das hier abgebildete Gefährt über nur zwei Schalthebel an einem Ende des Fahrzeugs (hier ist links gerade noch das obere Ende von einem Hebel zu erkennen); einer davon betätigte die mechanische Bremse, der andere müsste dann die Richtung vorgeben haben (wie bei den frühen Elektrokarren). Auf anderen Fotos erkennt man auch „Zweirichtungswagen“ mit Hebeln an beiden Enden und sogar eine Version mit Lenkrad. Wie man hier auch sieht, zeigen sich alle Fahrgäste „wohlbehütet“; zum Schutz gegen die Sonne gab es aber auch noch aufsteckbare Dächer.

Die Wagenführer waren adrett uniformiert und kassierten das Fahrgeld mit umgehängten Wechslern, auch Damen kamen schon zum Einsatz. Seinerzeit wurden sie etwas schräg als „Motormanette(s)“ bezeichnet, aber waren eine Attraktion für sich.

Zu Beginn der 30er Jahre übernahm auch hier der Benzinmotor das Regiment. Die kleinen Fahrzeuge sollen dann noch bis etwa 1970 auf der Promenade unterwegs gewesen sein. In dem Jahr wurde der Pier in Santa Monica für einen längeren Umbau geschlossen und einem Brand in der geschlossenen Anlage dürfte auch die kleine „Tram“ zum Opfer gefallen sein.

Seit 1990 hat Los Angeles wieder städtischen Nahverkehr auf Schienen, der heute zwei U-Bahn-Linien und vier Stadtbahnlinien befährt. Die U-Bahnen haben sich angesichts der lockeren Bebauung als überdimensioniert herausgestellt (tja!), während die Stadtbahnen genau zu passen scheinen. Deren Netz wird daher auch weiter ausgebaut.

Die jüngste Stadtbahnlinie, die „Expo Line“, erreicht seit 2016 auch wieder die Ortsmitte von Santa Monica. Wenn es unser kleines Bähnchen noch gäbe, könnte man von hier aus nach wenigen Schritten die Promenade entlangfahren – im umweltbewussten Kalifornien sicher auch wieder mit Batterieantrieb!

-gk- / Foto: Sammlung -gk

KW 31/2018 – Stuttgart: Tagblatt-Turm und Tram – Kennzeichen einer modernen Stadt

Guido KorffBild der Woche

Man sagt den Schwaben ja eine gewisse Gemütlichkeit und „Provinzialität“ nach. Vermutlich sind dafür die Sprache, aber sicher auch so traditionelle Phänomene wie die „Kehrwoche“ verantwortlich. Am Denkvermögen mangelt es den Schwaben jedoch nicht – so sind doch rund um Stuttgart eine Reihe bedeutender Erfindungen entstanden und die dortige mittelständische Industrie gehört nach wie vor zu den Konjunkturmotoren unserer Wirtschaft.

Auch mit ihrer Stadtentwicklung im weitesten Sinne fällt die Schwabenmetropole immer wieder positiv auf – mal abgesehen vom Projekt „Stuttgart 21“ – aber das ist ja auch woanders erdacht worden. Die „Stuttgarter Straßenbahnen SSB“ haben es dagegen vollbracht, ihren meterspurigen Straßenbahnbetrieb nicht nur weitgehend vollständig auf eine normalspurige Stadtbahn umzurüsten, sondern damit auch noch einen der höchsten Kostendeckungsgrade deutscher Verkehrsbetriebe (2016: 94,1 %) zu erwirtschaften. Selbst die Tradition kommt dabei nicht zu kurz – immerhin haben die Stuttgarter ihre Zahnradbahn noch!

An dieser Stelle sei aber die aktuelle Anmerkung erlaubt, dass selbst bei diesem leistungsfähigen Verkehrsnetz noch „Luft nach oben“ bleibt: die Nutzung der Bahnen und Busse in dem feinstaubgeplagten Talkessel könnte und müsste durchaus noch intensiver sein! Die Fahrtenzahl pro Einwohner ist zwar überdurchschnittlich, aber vom Freiburger Niveau noch weit entfernt – wobei man aber auch bedenken muss, dass die halbe Stadt vom Automobilbau lebt!

Die Höhepunkte des Stuttgarter Stadtbilds werden außerhalb der Stadt zumeist unter Wert verkauft. Deshalb seien hier beispielhaft die Weißenhofsiedlung am Killesberg (1927, „Neues Bauen“) – direkt neben dem Höhenpark mit seiner dampfenden Parkeisenbahn! – und die Neue Staatsgalerie (1974, Postmoderne) genannt. Zuletzt setzten Daimler und Porsche mit ihren Werksmuseen ebenfalls deutliche Akzente.

In die Zeit der Weißenhofsiedlung fällt auch der hier sichtbare Tagblatt-Turm, dessen Name seine Nutzung als Sitz einer Zeitungsredaktion (bis 1978) verrät. Er entstand 1927/28 ebenfalls im Stil des „Neuen Bauens“ und als erstes deutsches Hochhaus in Sichtbetonbauweise. Das galt seinerzeit als sehr gewagt, während sich die ersten Hochhäuser anderswo durch traditionelle Fassadenverkleidungen bei ihren kleineren Nachbarn anbiederten.

Der Tagblatt-Turm ragt mit seinen 61 m Höhe auch heute noch recht markant aus seiner Umgebung hervor, weil sich Stuttgart mit dem Bau von Hochhäusern deutlich zurückgehalten hat. Das Gebäude steht an der Eberhardstraße, etwas östlich vom oberen Ende der Fußgängerzone.

Das Foto mit der Straßenbahn kann man seit 1969 nicht mehr in dieser Form machen, da die Strecke dem U-Bahn-Bau weichen musste. Seit Oktober 1971 verkehrte sie dann wieder – jetzt unterirdisch – als Verbindung zwischen den Haltestellen „Rathaus“ und „Österreichischer Platz“ (sog. „Tallängslinie“) über das Gleisdreieck an der Torstraße zum Rotebühlplatz. Die zwischenzeitliche Rampe „Wilhelmsbau“ lag aber schon ca. 200 m westlich vom Tagblatt-Turm.

Beiwagen 829 hatte dem Tagblatt-Turm zwei Lebensjahre voraus: Er wurde 1926 beim Hauslieferanten, der Maschinenfabrik Esslingen, gebaut. Die schlichte Karosserieform und das glatte Tonnendach passen gut zum Stil des Hochhauses. Bw 829 und sehr viele seiner Artgenossen in der Serie 801 – 872 (insgesamt 58 Wagen) fielen dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Nach dem Krieg standen Bemühungen zum Erhalt historischer Wagen ebenfalls unter keinem Stern; mehrfach scheiterten Straßenbahnfreunde daran, die ihnen zugesagten Fahrzeuge angemessen unterzubringen. So gibt es heute keinen einsatzfähigen Stuttgarter Beiwagen aus den Vorkriegsjahren mehr; das einzige gerettete Exemplar fand über Kärnten und Hannover in seine Heimat zurück und befindet sich in schlechtem, nicht betriebsfähigem Zustand.

Da können wir uns freuen, dass sich historische Trams und Tagblatt-Turm auch heute noch wenigstens beinahe begegnen könnten, denn die dreischienige Oldtimer-Ringline 21 führt im Tunnel vor dem Hochhaus vorbei. Der Konjunktiv ist aber leider berechtigt, denn die Rundfahrt ist noch für einige Jahre wegen des Neubaus der Station „Staatsgalerie“ unterbrochen. Verantwortlich dafür ist „Stuttgart 21“ – womit sich der Kreis wieder schließt!
-gk- / Foto: Sammlung -gk

KW 30/2018 – Vohwinkel: “Bluescreen” anno dazumal

Guido KorffBild der Woche

Ohne die „Bluescreen“-Technologie wären viele Kino-Hits der letzten Jahre nicht denkbar gewesen. Dabei agieren die Schauspieler in einem Studio und ihre Szenen werden anschließend mit einem zumeist „phantastischen“ Hintergrund hinterlegt. Der Haken dabei: Das Ganze funktioniert nur mit elektronischer Farbaufzeichnung. Die war aber vor hundert Jahren noch lange nicht erfunden.

Im Tal der Wupper posierte die Schwebebahn schon immer als „Hauptdarsteller“ unzähliger Ansichtskarten. Beliebte „Nebendarsteller“ waren dann andere Verkehrsmittel, denn davon gab es im Tal eine reiche Auswahl. Das bekannteste Motiv „spielt“ an der Sonnborner Brücke, wo Eisenbahn und Straßenbahn häufig die Schwebebahn umrahmen. Später kamen dann noch Omnibusse hinzu. Dafür zog als „Special Guest“ in den Anfangsjahren oft noch ein Luftschiff seine Bahn am Himmel. Der unbefangene Betrachter fragte sich dann oft, wie lange der Fotograf wohl auf ein so glückliches Zusammentreffen hat warten müssen. Wo der Film von der „Illusion“ lebt; greift aber auch der Fotograf zur Täuschung.

Eine mögliche Option ist ein künstliches Arrangement: Die Wuppertaler Stadtwerke versammeln Schwebebahn, Straßenbahn und Bus am rechten Platz und alle zusammen warten dann nur noch einen Zug auf der Brücke, denn die Staatsbahn tut sich etwas schwerer mit gestellten Szenen (obwohl es auch dafür Belege gibt). Ein bestimmtes Detail verrät zuverlässig solche Aufnahmen: da die Schwebebahn keine Liniennummer führt, zeigt der Nummernkasten an der Wagenfront die Kursnummer – steht diese auf „0“ handelt es um eine arrangierte Situation.

Statt der hinlänglich bekannten Brückenszene zeigen wir hier mit dem Kaiserplatz in Vohwinkel eine andere Stelle, die bis heute mehrere Verkehrsmittel versammelt. Dabei ist interessant, dass die drei Straßenbahnwagen durchaus echt wirken, während der Schwebebahnzug der Baureihe 00/12 eindeutig aus einem anderen Foto ausgeschnitten und hier einmontiert wurde. Die Schnittkante am Wagenboden ist recht deutlich erkennbar. Vermutlich ist das Bild mit der Schwebebahn am genau gleichen Standort etwas früher oder später entstanden, so dass der montierte Teil trotzdem gut ins Bild passt.

Kniffliger war da wohl die Integration des Fahrwerks. Hier verrät sich die nachträgliche Zugabe u. a. dadurch, dass am Längsträger recht abrupt die Farbe wechselt. Dieser Fehler verwundert etwas, weil wir hier doch ein nachträglich koloriertes Schwarz/Weiß-Foto vor uns haben. Auch die Antriebseinheiten wirken irgendwie grob übermalt. Immerhin sticht der Schwebebahnzug als roter Farbtupfer markant hervor, während die Straßenbahnen alle eine ordentliche Portion Grün abbekommen haben.

Der Wagen der „Kreis Mettmanner Straßenbahn“ (rechts) ist am deutlichsten zu erkennen. Er entstand als Teil der ersten Wagenserie des Betriebs in den Jahren 1909/10, eine Konstruktion des Düsseldorfer Herstellers Carl Weyer & Cie. Die Strecke nach Vohwinkel gehörte 1909 auch gleich zu den ersten Verbindungen, die dieses Mitglied der RWE-Gruppe eröffnet hat. Markant ist bei diesen Wagen vor allem die Fensterfolge. Die Linie W von Mettmann nach Vohwinkel verkehrte bis 1952.

In der Bildmitte wartet auf der Strecke nach Benrath ein kleiner, kantiger Triebwagen von nur 7,85 m Länge. Er gehörte zur zweiten Serie (Nr. 18-69) der für die Bergischen Kleinbahnen beschafften Motorwagen aus den Jahren 1898-1904. Diese Gesellschaft hatte neben ihrem Hauptnetz im Raum Elberfeld hier einen zweiten Teilbetrieb aufgezogen, der von einer neuen Zentrale in Benrath ausgehend am 10. Juli 1899 Vohwinkel erreichte. Beim Übergang der beiden Benrather Linien an die Stadt Düsseldorf am 01. Oktober 1911 verblieben zahlreiche Fahrzeuge beim neuen Eigentümer. Die Linie V verkehrte danach noch bis 1961.

Links dagegen durchfährt ein Solinger Triebwagen die Kurve zur Kaiserstraße, um nach wenigen Metern und einer weiteren Linkskurve seine Endstation am Rathaus zu erreichen. Diese Linie brachte im Januar 1899 das erste elektrische Verkehrsmittel in das damals noch eigenständige Vohwinkel. Der Wagen (Tw 13) gehört zur Erstausstattung der „Solinger Kreisbahn“ von 1898. An der Fensterfolge mit den beiden großen Fenstern erkennt man jedoch, dass er bereits seinen ersten Umbau hinter sich hat, der bei dieser Serie ab 1908 erfolgte. Am 01. Oktober 1958 übernahm hier der Obus die Verkehrsbedienung.

Der Fotograf hätte auch noch ein weiteres Verkehrsmittel auf seine Glasplatte bannen können, aber offensichtlich war es um 1910 – zur Zeit der Aufnahme – (noch) nicht zur Hand: weit und breit kein Automobil zu sehen! So hat der Schienenverkehr die Aufmerksamkeit des Publikums ganz für sich allein. Das wird sich aber bald ändern; da müssen wir nicht mal auf die Erfindung des Tonfilms warten…

-gk- / Foto: Kunstverlag Max Biegel, Elberfeld; Karte verschickt 1927 (Sammlung –gk-)

KW 29/2018 – Neuchâtel: “Stadtrundfahrt” für alle

Guido KorffBild der Woche

Die Straßenbahngleise scheinen planlos in alle Richtungen zu führen, aber die Sache hat System: Im Zentrum von Neuchâtel (dt. Neuenburg) befuhren bis 1964 alle Linien (bis auf Linie 5) eine gemeinsame, eingleisige Ringstrecke von 650m Länge im Gegenuhrzeigersinn. Am Place Pury (nach dem lokalen Wohltäter David de Pur(r)y), direkt am Ufer des Neuenburger Sees, lag die gemeinsame Anfangs- und Endstation. Neben dem schönen (heute noch vorhandenen) Kioskgebäude sehen wir Wagen der Linien 3 und 4, die gerade ihre Pausenzeit abwarten. Weil dieser Ring perfekt die Innenstadt abdeckte, wurde er ganz offiziell “Tour de Ville“ (dt. “Stadtrundfahrt”) genannt.

Da der Ring als Zubringer zur Standseilbahn “Ecluse – Plan” diente, durfte er von Fahrgästen der Linien 3 und 4 kostenlos benutzt werden. Diese Regelung wurde später auch auf die anderen Linien ausgedehnt (geduldet). Wir haben hier also einen Vorläufer der heutigen City-Ringstrecken in US-amerikanischen Großstädten vor uns.

Linie 5, deren Vertreter wir links etwas abseits im Bild sehen, hatte eine eher „kleinbahnmäßige“ Vorgeschichte, weshalb sie bereits außerhalb der eigentlichen Stadt in einer separaten Gleisschleife endete. Da an der Linie 5 aber das größte Depot lag (und liegt), brauchte es die Gleisverbindung zwischen den Schleifen, die von links unten nach rechts oben verläuft.

In der Bildmitte entfernt sich die Strecke der ehemaligen Linie 2 nach Clos-de-Serrières, die hier noch über ein Gleisdreieck an die „Stadtrundfahrt“ angebunden ist. Da sie schon 1940 als erste Linie auf Trolleybus umgestellt wurde, dürfte aber wohl eher der in der Bildmitte geparkte Obus auf die Fahrgäste nach Clos-de-Serrières warten.

Bemerkenswert ist die genannte Endstation durch eine dort angesiedelte Fabrik, in der seit 1826 die bekannte Schokolade der Marke „Suchard“ (seit 1901 „Milka“, die mit der lila Kuh) hergestellt wurde. Sie brachte der Straßenbahn über viele Jahre einen regen Berufsverkehr. Heute kann man an der Stelle reizvolle Industriearchitektur entdecken – auch von Linie 5 nur einen Katzensprung entfernt.

Das Verkehrsnetz in Neuchâtel weist sowohl ebene, als auch steile Streckenabschnitte auf. Als erstes öffentliches Verkehrsmittel der Stadt eröffnete deshalb 1890 eine Standseilbahn in den höher gelegenen Stadtteil „Plan“, anfangs mit Wasserballast betrieben, später elektrifiziert. Straßenbahnen sollten anfangs eher in der Ebene verlaufen; dazu wurde mit Druckluft und Pferdekraft als Antrieb experimentiert. Eine besondere Herausforderung stellte aber die Zufahrt zum hochgelegenen Bahnhof dar, zu dem dann doch 89 Promille zu überwinden waren.

Die als Dampfbahn 1892 eröffnete Verbindung in die Nachbarorte Boudry und Cortaillod richtete auf dem letzten Stück zum Bahnhof deshalb sogar einen kurzen Zahnradbahnbetrieb ein, der sich immerhin 6 Jahre halten konnte. Dessen Ablösung durch elektrische Straßenbahnen ebnete dieser Technologie dann 1898 den Durchbruch im Neuchâteler Stadtverkehr. Zur gleichen Zeit entstand auch der integrierte Verkehrsbetrieb TN (Compagnie des Tramways de Neuchâtel).

Ab 1902 reisten die Fahrgäste auch auf der Vorortlinie elektrisch; die sieben Triebwagen 41 – 47 (im Bild Tw 42 der Serie) prägten das Erscheinungsbild der Strecke bis 1981 – sie wurden also im Einsatz 79 Jahre alt! In den 60er Jahren hatten sie allerdings schon Verstärkung durch gebrauchte, aber gut gepflegte Gelenkwagen aus Genua erhalten, die die Waggonfabrik Breda 1942 (!) produziert hatte. Obwohl typisch italienisch als „Stehwagen“ für 175 Fahrgäste bei nur 33 Sitzplätzen konzipiert, waren sie dennoch für den Berufsverkehr zu klein und ließen damit bis zuletzt Raum für zwei- bis vierteilige Altwagengarnituren.

Nachdem sich 1976 mit SL 3 die letzte innerstädtische Straßenbahn verabschiedet hatte, wurde auch die Linie 5 „vorortbahnmäßig“ modernisiert. Vier Garnituren aus vierachsigen Trieb- und Steuerwagen traten 1980 zur Ablösung der Altwagen an. Gestaltet im zeittypischen kantigen „Schuhkarton“-Design (abgeleitet vom Tram 2000), nähern sie sich mittlerweile auch schon der Pensionsgrenze für Straßenbahnen. Ihr Abschied steht in der Tat kurz bevor, denn mit der Durchbindung der Trogener Bahn in St. Gallen auf die anderen Appenzeller Schmalspurbahnen werden die dort eingesetzten dreiteiligen Stadler-Achtachser frei, die erst zehn bzw. vierzehn Jahre „auf dem Buckel“ haben. Sie sollen vor allem endlich Niederflurkomfort auf die Linie 5 bringen.

Ein baldiger Besuch lohnt sich also; manchmal sogar am Wochenende, denn an einem Sonntag im Monat haben die Museumswagen des örtlichen Vereins ANAT Auslauf und die schicke Museumswagenhalle öffnet ihre Tore. Informationen dazu unter https://museedutram.ch.

-gk- / Foto: (Sammlung –gk-)

KW 28/2018 – Ennepe: Ein Bilderrätsel

Guido KorffBild der Woche

Wo ist nochmal die Wuppertaler Endstelle, an der hier Tw 18 fotografiert wurde? Nein, halt, der Gesellschaftsname stimmt ja gar nicht: Straßenbahngesellschaft Ennepe (SGE). Richtig, das Bild wurde an der Endstelle in Voerde aufgenommen – aber wann? Und warum ist der Wagen so ungewöhnlich lackiert?

Die Frage nach der Farbe lässt sich einfach erklären. Die Fahrzeuge – auch die Omnibusse – der Straßenbahngesellschaft Ennepe trugen damals im Normalfall eine elegante Zweifarblackierung: oben hell-creme, unten dunkelgrün, dazwischen ein schwarzer Trennstreifen. Wenn man alte Bilder durchsieht, kann man vermuten, dass das Farbschema Ende der 20er Jahre eingeführt wurde. Vielleicht kam es 1928 mit den neuen Triebwagen der Serie 12 – 20 ins Tal.

Erst die erste Generation der VÖV-Standard-Linienbusse von Büssing brach mit dieser Tradition. Eine weitere Gewohnheit ging übrigens gleich anschließend zuende: nach dem Verkauf von Hauslieferant Büssing an MAN wurde noch genau ein Bus (119) mit dem kombinierten Markenzeichen geliefert, danach wechselte das Unternehmen für viele Jahre zu Daimler-Benz.

Da in der Zeit des Zweiten Weltkriegs die grüne Farbe wohl nicht in der benötigten Menge nachbeschafft werden könnte, lackierte das Unternehmen seine Wagen für kurze Zeit zwangsläufig durchgehend in einer hellen Farbe (vermutlich das traditionelle Hellbeige der Fensterpartien). Neben Tw 18 waren auch mindestens Tw 22 (einer der beiden Niederflurwagen Tw 21 und 22; dieser mit Trennstreifen) und ein Ex-Liegnitzer Beiwagen mit diesem Farbkleid ausgestattet, vermutlich auch Tw 16. Anfang der 50er Jahre war dann aber rasch wieder das bisherige Erscheinungsbild wiederhergestellt.

Die Gesellschaftsbezeichnung nimmt nicht direkt Bezug auf den Fluss Ennepe, dessen Verlauf die Bahn über weite Teile der Strecke folgte. Weil keine größere Stadt (von Gevelsberg mal abgesehen, das aber damals auch nur 15 Tsd. Einwohner zählte) berührt wurde, orientierte man sich vielmehr an einer Bezeichnung, die das Tal von alters her führte: „Iämpestrote“ (mundartlich für „Ennepestraße“).

Die Bestimmung des Aufnahmezeitpunkts ist besonders knifflig: Die Hilfsschaffnerin in Zivilkleidung deutet zwar auf die Kriegsjahre hin, jedoch fehlen am Triebwagen die äußeren Merkmale der damals vorgeschriebenen Verdunkelung: Scheinwerferblenden und übermalte Fensterscheiben. Nach dem Krieg wurden die „Arbeitsmaiden“ dagegen recht bald von den heimkehrenden männlichen Kollegen wieder verdrängt. Der Reichsarbeitsdienst als Träger der Einsätze wurde schon im Oktober 1945 per Gesetz verboten und aufgelöst. Leider ist keine Werbung zu erkennen, die sonst oft bei der zeitlichen Einordnung hilft. Vielleicht hat die junge Frau den Geldwechsler auch nur zum Spaß umgehängt?

Auch wenn offensichtlich ein Amateur das Bild „geschossen“ hat, strahlt es doch eine gewisse Dynamik aus. Immerhin hebt es sehr schön das Fahrwerk des Wagens hervor, an dem wir z. B. Blattfedern und eine Magnetschienenbremse erkennen können. Wir interessieren uns für diese Details, weil die neun Wagen dieser Bauserie nach der Stilllegung in Ennepetal 1956 mit einigen anderen Fahrzeugen an die Wuppertaler Stadtwerke verkauft wurden und das Erscheinungsbild unserer Museumsstrecke bis zum Ende im Jahre 1969 mit geprägt haben.

Die gesamte Baureihe wurde in Wuppertal modernisiert und u. a. mit den markanten, allseits abgerundeten Führerstandsfenstern versehen. Tw 141 in unserer Sammlung erhielt außerdem eine Megi-Federung aus großen Metall-Gummi-Blöcken, die das Fahrgestell optisch deutlich verändert haben. Tw 136 behielt dagegen sein originales Fahrgestell und verbrachte ebenfalls viele Jahre in unserem Museum, bevor er an den Nachfolger der SGE – die Verkehrsgesellschaft Ennepe-Ruhr – abgegeben wurde, die das Fahrzeug wunderbar restauriert im Foyer ihrer Verwaltung in Ennepetal aufgestellt hat. Dort strahlt er als Tw 15 wieder im traditionellen Grün-Beige.
-gk- / Foto: Sammlung -gk

KW 27/2018 – Nürnberg: Der Plärrer – Sieben auf einen Streich

Guido KorffBild der Woche

Bei unserem heutigen Motiv geht es nicht um die sieben Fliegen aus dem Märchen, sondern um sieben Straßenbahnstrecken, die rund um den sichtbaren Platz – den „Plärrer“ in Nürnberg – zusammentrafen. Vier davon erkennen wir aus der Perspektive unseres Fotografen, drei weitere zweigen wenige Meter außerhalb des Bildes ab. Heute verkehren zwei von diesen Verbindungen noch oberirdisch auf Schienen, die anderen fünf wurden als U-Bahn unter die Erde verlegt.

Der große freie Platz und die eingeschossigen Behelfsbauten links lassen bereits erahnen, dass hier nach dem Zweiten Weltkrieg ein neuer Stadtgrundriss entstehen wird, der dem Automobil beschleunigten Auslauf ermöglichen soll.

Nürnberg war als des „Deutschen Reiches Schatzkästlein“ bis zu den Bombennächten der 40er Jahre die größte deutsche Stadt, deren mittelalterliche Innenstadt noch mit einer weitgehend intakten Stadtmauer – immerhin ca. 5 km lang – umgeben war. Straßenbahnen erreichten zwar die wichtigsten Punkte innerhalb des Mauerrings, eine „Vernetzung“ kam jedoch nicht zustande. Dem standen fehlender Platz und teilweise starke Steigungen entgegen. Daraus ergab sich eine Arbeitsteilung: einige Linien fuhren durch die Stadt, die anderen drumherum.

Unser Fotograf könnte durchaus auf einem Turm der Stadtbefestigung stehen. Vor ihm liegt der Plärrer, einer der beiden wichtigsten Knotenpunkte im Straßenbahnnetz. Unter ihm verlässt die große Innenstadtquerung (Hauptbahnhof – Lorenzkirche – Weißer Turm – Plärrer) die Ludwigstraße, ganz links und rechts hinter dem „Café am Ring“ verläuft die Strecke, die die Altstadt außen umrundet. Die anderen Verbindungen führen nach Gibitzenhof, Schweinau, St. Leonhard (Graf-Adolf-Straße) und Fürth.

Während die Stadtstruktur innerhalb des Mauerrings sorgfältig konserviert und damit der Charme der mittelalterlichen Stadt halbwegs bewahrt wurde, ging man außerhalb dieser Umgrenzung weniger zimperlich vor. Am Plärrer ist ein erstes Zeichen bereits gesetzt: Das Hochhaus der Städtischen werke von 1953 mit seinen honiggelben Platten könnte aus einem Faller-Bausatz entstanden sein; ähnliche Bauten bildeten in vielen deutschen Städten die erste Generation „modernen“ Städtebaus.

Rechts neben dem Hochhaus hatte die erste deutsche Eisenbahn, die Verbindung von Nürnberg nach Fürth, ihren Anfang genommen. Nach der inflationsbedingten Stilllegung 1922 wechselte die Straßenbahn auf deren Bahnkörper über und eröffnete einen Schnellverkehr in die Nachbarstadt. Nach dem Krieg wurde daraus eine neue breite Straßenachse entwickelt, die bald die Bebauung bei dem Haus links (mit der Eszet-Schokoladenwerbung) durchbrechen und sich geradlinig zum Bahnhof fortsetzen wird. Zum Verständnis: die ursprüngliche Fürther Straße knickte kurz vor dem Plärrer etwas nach Norden ab und mündete in Verlängerung des rechts sichtbaren Gleispaares in die Platzanlage.

Eine besondere Attraktion stellte der „Plärrer-Automat“ in der Platzmitte dar. Das langgezogene Gebäude im Stil der „Klassischen Moderne“ wirkte zum Zeitpunkt seines Entstehens (1932) im Vergleich zu seiner damaligen Umgebung nahezu futuristisch. Innen wartete es mit einem „Automaten-Restaurant“ – daher der Name im Volksmund – und einem „Stummen Postamt“ auf. Letzteres hatte Fernsprechzellen, Briefmarkenautomat und Briefkasten im Angebot. Nachdem der rechte Teil bereits früher abgebrochen wurde, musste auch der Rundbau des Restaurants 1977 dem U-Bahn-Bau weichen.

Der Wagenpark der Straßenbahn zeigt die Bandbreite der 50er Jahre. Der ältere Zweiachser-Zug (Reihe 700/800 / MAN ab 1925) im Vordergrund begegnet einer Kombination aus modernen Zweiachsern der frühen 50er Jahre (Reihe 100 / MAN 1951-54), die aus dem Konzept des „Deutschen Einheitsstraßenbahnwagens“ abgeleitet waren (Nachbau der Reihe 900 aus 1939 als Einrichtungswagen). Im Hintergrund kommt schließlich ein Zug aus vierachsigen Großraumwagen ins Bild, der den Düwag-Großraumwagen ähnelt, aber wiederum vom örtlichen Hauslieferanten MAN mit SSW-Ausrüstung gebaut wurde.

Zum Schluss noch ein Wort zum fränkischen „Plärrer“: Die Herkunft des Namens erscheint eindeutig, es handelt sich auf jeden Fall um einen „Marktplatz“. Dieser liegt aber außerhalb der Stadtmauern und ist Händlern vorbehalten, die keine Konzession für die Plätze in der Stadt erhalten haben. Daraus darf man vermutlich auch auf ein gewisses soziales Niveau schließen…

-gk- / Foto: Sammlung -gk

KW 26/2018 – Bad Homburg: Mit der Tram zur Spielbank ?

Guido KorffBild der Woche

Letzte Woche haben wir Nizza einen Besuch abgestattet und eine Stadt angetroffen, die auch heute noch fast nur vom Tourismus lebt. Treffpunkte des internationalen Adels und neureicher nichtadeliger Prominenz gab es aber auch in Deutschland. Einige davon haben ihren Nimbus sogar bis in die Gegenwart retten können.

Bad Homburg gilt nach wie vor als „Refugium der Reichen“, verdankt diesen Ruf aber vor allem seiner Nähe zu Frankfurt. Die Banker aus der deutschen „Hauptstadt des Geldes“ haben sich schon immer gern an den Hängen des Taunus niedergelassen. Allerdings hat es auch nicht geschadet, dass ab Mitte des 19. Jahrhunderts ein Kurbetrieb begann, zu dessen besonderem Anziehungspunkt die Spielbank wurde. Nach 1888 unterhielt sogar der deutsche Kaiser Wilhelm II. hier seine Sommerresidenz.

Selbst eine eigene Straßenbahn konnte Bad Homburg vor der Höhe (wie es vollständig heißt) seinen Gästen bieten. Sie erschloss von 1899 bis 1935 die Stadt der Länge nach und verfügte auch über einige kurze Zweiglinien. Sie verband Kliniken, Kurhotels und Ausflugsziele. Glanzstück war die „Überlandstrecke“ zum Römerkastell Saalburg, die als Bergbahn (max. Steigung 55,5 Promille) ausgebaut war. Da nach dem Ersten Weltkrieg die adelige Kundschaft ausblieb, endete 1935 der eigenständige Betrieb.

Dennoch gab es weiter Straßenbahnverkehr in der Stadt, denn ein Teil der Innenstadtstrecke (bis zum Markt) wurde zusätzlich von der Linie 25 der Frankfurter Lokalbahn AG (FLAG) bedient. Diese Verbindung gehörte 1971 zu den ersten Frankfurter Stadtbahnlinien. Die „U2“ verkehrt allerdings nur noch bis zum Stadtrand von Bad Homburg. Derzeit gibt es jedoch Pläne, wieder bis zum Bahnhof der Kurstadt vorzudringen.

Unser Bild zeigt einen Dreiwagenzug der Lokalbahn vor dem Kurhaus, wie es bis zum Zweiten Weltkrieg aussah. Mittlerweile steht hier schon die übernächste Gebäudegeneration von 1984. Hinter dem Kurhaus beginnt der Kurpark, in dem man nach einem kurzen Spaziergang die Spielbank erreicht, die immer noch von Gästen aus aller Welt besucht wird.

Der Triebwagen stammt aus dem Eröffnungsjahr 1910 und entspricht der FLAG-Serie 1 – 18, ihm folgen nahezu baugleiche Beiwagen (FLAG-Serie 51 – 72). Bemerkenswert ist die eigenartige Konstruktion des Stromabnehmers, der auf einer Art dreieckigem Untergestell eine parallelgrammförmige Konstruktion für die beiden Schleifstücke trägt. An diesem „Berliner Dreiecksbügel“ erkennt man allerdings die acht weitgehend baugleichen städtischen Triebwagen der Reihe „V“, denn die FLAG-Triebwagen waren mit zwei Lyrabügeln bestückt. Die städtischen Fahrzeuge der Reihen „V/v“ verkehrten im Gemeinschaftsverkehr auf der Linie 25 und waren auch speziell dafür ausgerüstet.

Nach der Anfangsphase wurde der Wagenpark bis zur Übernahme der FLAG durch die Frankfurter Straßenbahn im Jahre 1955 übrigens nur ein einziges Mal ergänzt: 1923 lieferte die Waggonfabrik Uerdingen einen vierachsigen Beiwagen mit niedrigem Mitteleinstieg, der sich aber nicht bewährte. Er ist heute im Museum Schwanheim zu besichtigen.

Das Zielschild des Motorwagens weist auch auf die Saalburg hin, wohin die FLAG-Züge aber nicht durchgefahren sind. Vielmehr gab es an der Endstation Marktplatz einen engen Übergang zur „Saalburgbahn“. Falls unsere Aufnahme nach 1935 entstanden sein sollte, stellt vielleicht der Bus der Linie 1 (rechts) den Anschluss her.

Die nördlichen Linien der FLAG waren abschnittsweise als Kleinbahn konzessioniert, deshalb tragen die Fahrzeuge Doppelscheinwerfer und Zugschlussscheiben. Die Doppelscheinwerfer fanden wir später sogar noch an einigen modernen Düwag-Gelenkwagen, die bis 18. Dezember 1971 die Kurstadt erreichten.

-gk- / Foto: Sammlung -gk