Bei unserem heutigen Motiv geht es nicht um die sieben Fliegen aus dem Märchen, sondern um sieben Straßenbahnstrecken, die rund um den sichtbaren Platz – den „Plärrer“ in Nürnberg – zusammentrafen. Vier davon erkennen wir aus der Perspektive unseres Fotografen, drei weitere zweigen wenige Meter außerhalb des Bildes ab. Heute verkehren zwei von diesen Verbindungen noch oberirdisch auf Schienen, die anderen fünf wurden als U-Bahn unter die Erde verlegt.
Der große freie Platz und die eingeschossigen Behelfsbauten links lassen bereits erahnen, dass hier nach dem Zweiten Weltkrieg ein neuer Stadtgrundriss entstehen wird, der dem Automobil beschleunigten Auslauf ermöglichen soll.
Nürnberg war als des „Deutschen Reiches Schatzkästlein“ bis zu den Bombennächten der 40er Jahre die größte deutsche Stadt, deren mittelalterliche Innenstadt noch mit einer weitgehend intakten Stadtmauer – immerhin ca. 5 km lang – umgeben war. Straßenbahnen erreichten zwar die wichtigsten Punkte innerhalb des Mauerrings, eine „Vernetzung“ kam jedoch nicht zustande. Dem standen fehlender Platz und teilweise starke Steigungen entgegen. Daraus ergab sich eine Arbeitsteilung: einige Linien fuhren durch die Stadt, die anderen drumherum.
Unser Fotograf könnte durchaus auf einem Turm der Stadtbefestigung stehen. Vor ihm liegt der Plärrer, einer der beiden wichtigsten Knotenpunkte im Straßenbahnnetz. Unter ihm verlässt die große Innenstadtquerung (Hauptbahnhof – Lorenzkirche – Weißer Turm – Plärrer) die Ludwigstraße, ganz links und rechts hinter dem „Café am Ring“ verläuft die Strecke, die die Altstadt außen umrundet. Die anderen Verbindungen führen nach Gibitzenhof, Schweinau, St. Leonhard (Graf-Adolf-Straße) und Fürth.
Während die Stadtstruktur innerhalb des Mauerrings sorgfältig konserviert und damit der Charme der mittelalterlichen Stadt halbwegs bewahrt wurde, ging man außerhalb dieser Umgrenzung weniger zimperlich vor. Am Plärrer ist ein erstes Zeichen bereits gesetzt: Das Hochhaus der Städtischen werke von 1953 mit seinen honiggelben Platten könnte aus einem Faller-Bausatz entstanden sein; ähnliche Bauten bildeten in vielen deutschen Städten die erste Generation „modernen“ Städtebaus.
Rechts neben dem Hochhaus hatte die erste deutsche Eisenbahn, die Verbindung von Nürnberg nach Fürth, ihren Anfang genommen. Nach der inflationsbedingten Stilllegung 1922 wechselte die Straßenbahn auf deren Bahnkörper über und eröffnete einen Schnellverkehr in die Nachbarstadt. Nach dem Krieg wurde daraus eine neue breite Straßenachse entwickelt, die bald die Bebauung bei dem Haus links (mit der Eszet-Schokoladenwerbung) durchbrechen und sich geradlinig zum Bahnhof fortsetzen wird. Zum Verständnis: die ursprüngliche Fürther Straße knickte kurz vor dem Plärrer etwas nach Norden ab und mündete in Verlängerung des rechts sichtbaren Gleispaares in die Platzanlage.
Eine besondere Attraktion stellte der „Plärrer-Automat“ in der Platzmitte dar. Das langgezogene Gebäude im Stil der „Klassischen Moderne“ wirkte zum Zeitpunkt seines Entstehens (1932) im Vergleich zu seiner damaligen Umgebung nahezu futuristisch. Innen wartete es mit einem „Automaten-Restaurant“ – daher der Name im Volksmund – und einem „Stummen Postamt“ auf. Letzteres hatte Fernsprechzellen, Briefmarkenautomat und Briefkasten im Angebot. Nachdem der rechte Teil bereits früher abgebrochen wurde, musste auch der Rundbau des Restaurants 1977 dem U-Bahn-Bau weichen.
Der Wagenpark der Straßenbahn zeigt die Bandbreite der 50er Jahre. Der ältere Zweiachser-Zug (Reihe 700/800 / MAN ab 1925) im Vordergrund begegnet einer Kombination aus modernen Zweiachsern der frühen 50er Jahre (Reihe 100 / MAN 1951-54), die aus dem Konzept des „Deutschen Einheitsstraßenbahnwagens“ abgeleitet waren (Nachbau der Reihe 900 aus 1939 als Einrichtungswagen). Im Hintergrund kommt schließlich ein Zug aus vierachsigen Großraumwagen ins Bild, der den Düwag-Großraumwagen ähnelt, aber wiederum vom örtlichen Hauslieferanten MAN mit SSW-Ausrüstung gebaut wurde.
Zum Schluss noch ein Wort zum fränkischen „Plärrer“: Die Herkunft des Namens erscheint eindeutig, es handelt sich auf jeden Fall um einen „Marktplatz“. Dieser liegt aber außerhalb der Stadtmauern und ist Händlern vorbehalten, die keine Konzession für die Plätze in der Stadt erhalten haben. Daraus darf man vermutlich auch auf ein gewisses soziales Niveau schließen…
-gk- / Foto: Sammlung -gk