Zugegeben: Der Titel ist geklaut. Er stammt von einem Buch, das die Rolle der Straßenbahnen in der Siedlungsstruktur des nördlichen Ruhrgebiets behandelt.
Anders als im Ruhrgebiet, wo sich die Zechen und Stahlwerke seit über 150 Jahren in wilder Mischung mit den zugehörigen Wohngebieten abwechseln, sind im ehemaligen Ostblock viele Komplexe der Montanindustrie erst später entstanden. Als „geplante“ Anlagen wurden sie oft außerhalb der gewachsenen Städte angelegt.
Um die Massen der „sozialistischen Werktätigen“ geordnet und rasch zu ihren Arbeitsplätzen zu schaffen, waren dann seinerzeit leistungsfähige Straßenbahnanbindungen erste Wahl. So fallen z. B. die Nowa Huta (Neue Hütte) bei Krakau, die Ostslowakischen Stahlwerke in Košice, die Nová Huť Klementa Gottwalda nahe Ostrava (Ostrau) – und nicht zuletzt die Eisenhütte in Galaţi in Rumänien – in diese Kategorie. Die politische Wende haben alle genannten Stahlwerke zunächst überlebt, wenngleich sie oft mehrfach die Besitzer wechselten und die Produktionsmengen immer weiter schrumpften. Als letzte Rettung landeten sie dann oft beim indischen „Resteverwerter“ Lakshmi Mittal, der mit seiner ArcelorMittal Steel immerhin Werke aktiv erhielt, die unter anderen Betreibern längst abgewickelt worden wären.
Unser Bild zeigt die besondere Situation in Galaţi (ausgesprochen: „Galatz“) im Osten Rumäniens und nahe der moldawischen Grenze. Die Stadt hat heute ca. 250 Tsd. Einwohner und die Hütte ist immer noch die größte des Landes und wichtiger Arbeitgeber für die örtliche Bevölkerung (5.600 Mitarbeiter). Sie gehört seit 2001 zu Mittal (noch vor der Fusion mit der luxemburgischen Arcelor), 2019 wurde sie an die Liberty Group des Inders Sanjeev Gupta weitergereicht.
Die westlich der Stadt gelegene Hütte ist den Wohngebieten durch einen tiefen Taleinschnitt getrennt. Eine ca. 1,5 km lange, hohe Brücke überquert dieses Tal; die Strecke gabelt sich vor den Werksanlagen und bediente früher Nord- und Osteingang, zuletzt wurde nur allein der Osteingang angefahren.
Zum Zeitpunkt der Aufnahme 2012 befuhren die Straßenbahnen der Stadt nur noch einen Bruchteil des früheren Netzes. Neben vier Ganztagslinien (von denen keine zur Hütte verkehrte) gab es 2012 aber auch noch fünf Linien, die nur mit wenigen Fahrten zum Schichtwechsel des Stahlwerks im Fahrplan verzeichnet waren. Nicht alle befuhren die Brücke, teilweise stellten sie lediglich Anschlüsse her.
Der eingesetzte Wagenpark bestand 2012 aus KT4D aus Berlin und ZGT6 aus Rotterdam, außerdem einigen Frankfurter Düwag-Vierachser-Zügen als Reserve. Inzwischen gibt es nur noch drei Linien; die Hütte wird gar nicht mehr angefahren; die Rotterdamer Wagen reichen dafür aus. Nachdem lange Jahre die Stilllegung der restlichen Linien zu befürchten war, lässt die Bestellung von acht Niederflurwagen von Astra in Arad wieder auf den Fortbestand hoffen.
Tw 1327 auf Linie 46 – noch in Berliner „Hauptstadtfarben“ – kommt dem Fotografen auf der Rückfahrt von der Hütte auf der langen Brücke entgegen. Im Hintergrund die beeindruckende industrielle Kulisse der Werksanlagen. Was auffällt: Der Schichtwechsel muss wohl sehr pünktlich erfolgen: Ob die Mitarbeiter schon alle an ihren Arbeitsplätzen angekommen sind? Die Brücke ist die einzige Zufahrt, aber es ist kein Pkw zu sehen!
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