KW45/2018 – Mainz: Die Straßenbahn mit dem “Zwei-Rad”

Guido KorffBild der Woche

Das Erzbistum Mainz führt bereits seit dem Mittelalter ein Wappen, das ein Rad mit meistens sechs Speichen auf rotem Grund zeigt. Später wurde daraus ein Doppelrad. Es gibt eine Reihe von wissenschaftlichen Theorien und weniger wissenschaftlichen Legenden, die darin eine keltische Sonne oder das Christus-Monogramm erkennen wollen. Die Straßenbahnen der Stadt Mainz führen dieses Zeichen heute in der Form, dass die beiden Räder zusätzlich durch ein Kreuz verbunden sind. Damit grenzt sich die Stadt vom ehemaligen Kurstaat ab.

Die wichtigste Sehenswürdigkeit der Stadt ist der Dom, dessen Türme wir rechts auf dem Bild erkennen. Er ist dem Heiligen Martin von Tours gewidmet, der ebenfalls gelegentlich ein Rad im Wappen führt. Er ist bekannt als Ritter, der – der Legende nach – seinen Mantel mit einem Bettler geteilt hat und Anfang November mit Laternenumzügen geehrt wird. Die Straßenbahn im Vordergrund befährt gerade den Gutenbergplatz, der noch heute als „Boulevard“ – allerdings mit Nachkriegsarchitektur – die Innenstadt von Mainz prägt. Das Denkmal dieses Pioniers des Buchdrucks erkennen wir direkt oberhalb der Tram.

Die Süddeutsche Eisenbahngesellschaft, aus der später die Essener Verkehrs-AG hervorgegangen ist, baute nicht nur die Mainzer Straßenbahn, sondern parallel dazu auch ein Überlandnetz auf, das das pfälzische Mainz mit dem hessischen Wiesbaden verband und dort bis auf eine einzige städtische Linie den Nahverkehr dominierte.

Während die Stadt Mainz die innerstädtischen Linien bereits im Zuge der Elektrifizierung von der SEG erwarb, verkehrten die Bahnen nach Wiesbaden im Gemeinschaftsbetrieb mit der SEG. In den 20er Jahren zerstritt sich der private Verkehrsbetrieb mit der Wiesbadener Stadtverwaltung. Die SEG stellte daraufhin 1929 weite Teile ihres Netzes in Wiesbaden auf Omnibusbetrieb um. Wiesbaden rühmte sich danach als „erste deutsche Großstadt, die ihren städtischen Nahverkehr mit Omnibussen bewältigt“. Das war allerdings stark übertrieben, denn nicht nur die städteverbindenden Linien blieben erhalten, sondern auch einige innerstädtische Strecken, darunter die eigene kommunale Linie Bierstadt – Dotzheim.

Erst die Vernachlässigung der Infrastruktur im Zuge des Zweiten Weltkriegs brachte auch den „Fernlinien” 6 und 9 das Ende und machte Wiesbaden straßenbahnfrei. Am 01. Mai 1955 verkehrten sie zum letzten Mal über den Rhein. Übrig blieben jedoch die Mainzer Verbindungen nach Kastel und Kostheim.

Die rechtsrheinischen Mainzer Stadtteile Amöneburg, Kastel und Kostheim (AKK) waren da trotz ihres „Vornamens“ Mainz- (den sie heute noch tragen!) bereits Stadtteile von Wiesbaden geworden und lagen zudem in einem anderen Bundesland. Kurioserweise berührte diese kriegsbedingte Neuordnung nicht die Eigentumsverhältnisse der kommunalen Infrastruktur. Die Gleise (und auch die Kanalisation etc.) gehörten also nach wie vor der Stadt Mainz.

Im Laufe der frühen 60er Jahre wurde der Innenstadtkern von Mainz straßenbahnfrei gemacht. Dem fielen auch die Zufahrten zur Rheinbrücke zum Opfer, über die am 31. August 1958 letztmalig Straßenbahnen rollten. Im Tiefpunkt der Netzentwicklung verblieben eine längere Hauptstrecke Hechtsheim – Finthen (SL 10/11) und eine kürzere und schwächer ausgelastete Linie Bretzenheim – Ingelheimer Aue (SL 8). Der letztgenannte Ast verschwindet im November 1997.

Zu diesem Zeitpunkt waren aber sowohl in Finthen als auch in Hechtsheim bereits Neubauabschnitte entstanden, die als Beleg dafür gewertet werden konnten, dass die Straßenbahn in Mainz eine Zukunft haben würde. Die Eröffnung der „Lerchenbergbahn“ am 11. Dezember 2016 stellt dies eindrucksvoll unter Beweis. Inzwischen bindet die kurze neue Strecke zum Zollhafen auch das „Straßenbahnamt“ (Verwaltung und Betriebshof der Straßenbahn) wieder an das im Fahrgastbetrieb befahrene Netz an.

Auch die Verbindungen nach Wiesbaden könnten in zehn Jahren wieder auf Straßenbahnschienen verkehren. Die politischen Gremien beider Städte haben entsprechende Beschlüsse gefasst; jetzt wird nach den optimalen Trassen gesucht. Die Neubaustrecken dürften mit Rücksicht auf die Durchbindung in die Mainzer Innenstadt in Meterspur ausgeführt werden. Damit wurden jedoch Überlegungen für ein „Tram-Train“-Konzept auf Normalspur erst einmal ad acta gelegt.

PS: Mainz verfügt heute über den steilsten Straßenbahnabschnitt Deutschlands mit 95 Promille.

-gk- / Foto: Sammlung -gk-

Quellen:
• Wikipedia
• Neise, Harald: Mainz und seine Straßenbahn 1883-1983, Stuttgart 1983