KW45/2021 – Neapel: Trambetrieb in einer “Failed City”

Guido KorffBild der Woche

Unter einer „Failed City“ versteht man eine Stadt, deren Verwaltung die Kontrolle über das Gemeinwesen verloren hat. In Deutschland zählen einige Stimmen Berlin oder Köln in diese Kategorie; in Italien gehört eindeutig Neapel dazu. Damit ist dort aber nicht die Mafia gemeint, die in Neapel „Camorra“ heißt, denn die ist ja gut „organisiert“. Vielmehr ist eine unfähige und/oder korrupte Stadtverwaltung die Wurzel des Übels. Überregional bekannt geworden sind die Müllberge in der Stadt, weil deren Abfuhr nicht funktioniert. Die Wuppertaler Bürger haben davon sogar profitiert, denn Teile des angesammelten Abfalls hat es bis in die Müllverbrennungsanlage am Hahnerberg verschlagen, wo sie kostenpflichtig verwertet wurden.

In diesem Chaos muss man sich schon wundern, dass in der Stadt (derzeit ca. 960 Tsd. Einwohner) immer noch Straßenbahnen und Obusse verkehren. Die Straßenbahnen mussten immerhin drei Jahre lang von 2016 bis Januar 2020 komplett im Betriebshof bleiben, weil eine Straßenbaustelle direkt vor der Einfahrt zum Depot das Ausrücken verhinderte.

Das früher weit verzweigte Straßenbahnnetz besteht schon seit mehreren Jahrzehnten nur noch aus drei Linienästen. In guten Zeiten verkehren darauf drei Linien, die alle drei Endpunkte jeweils direkt miteinander verbinden, manchmal aber auch nur eine, weil mal wieder eine Baustelle – meistens für die Metro – im Weg ist.

Der westliche Streckenast wurde über die Jahre auch noch mehrfach verkürzt. Am Castel Nuovo beim Fährschiff-Hafen ist derzeit wegen einer Riesenbaustelle für die Metro Schluss; ob es jemals wieder drüber hinaus weitergeht, darf bezweifelt werden, auch wenn die Gleise dafür teilweise noch vorhanden sind (die anderen mussten weiteren Metro-Baustellen weichen). Das wachsende Metro-Netz übernimmt auch teilweise dieses Verkehrsaufkommen.

Zusätzlich wird die Straßenbahn im Bereich der Innenstadt von Obus-Linien überlagert, die bis auf den Außenast zum Friedhof von Poggioreale parallel zu den Gleisen verlaufen. Dadurch ergibt sich ein erhebliches Fahrdrahtgewirr über den Straßen. Wir sehen auf unserem Bild das Gleisdreieck an der Via Nuova Marina, wo die drei Streckenäste der Straßenbahn aufeinandertreffen. Links geht es zum Bahnhof. So ähnlich muss die Fahrleitungsanlage auch am Wupperfelder Markt in Wuppertal mal ausgesehen haben!

Im Einsatz trifft man hauptsächlich die 22 vierachsigen Triebwagen der Sirio-Baureihe von AnsaldoBreda an, die 2004 nach Neapel geliefert wurden. Sie sind 20,2 m lang und – wegen der Antriebsanordnung – fast nur mit Längssitzen ausgestattet. Ein geringes Sitzplatzangebot ist in italienischen Straßenbahnen und Bussen aber üblich. Ähnliche, zumeist längere Wagen fahren u. a. auch in Mailand, Florenz und Göteborg. Dort sind die Drehgestelle jedoch durch Klappen abgedeckt, die hier bei allen Wagen fehlen. Ob das eine höhere Fehleranfälligkeit vermuten lässt?

Daneben verfügt der Verkehrsbetrieb noch über knapp 30 ältere, einteilige Vierachser, die Anfang der 30er Jahre nach dem Vorbild der Mailänder Peter-Witt-Wagen entstanden. In der zweiten Hälfte der 70er Jahre erhielten die Wagen neue Aufbauten, bei denen Teile von damaligen Autobus-Modellen verwendet wurden, die den Wagen ein gewöhnungsbedürftiges Aussehen verleihen.

Pläne für Netzerweiterungen gab und gibt es viele, aber nur geringe reale Fortschritte. Wachsen wird aber vor allem die Metro, denn in der Bauindustrie ist die Mafia bestens investiert!

-gk- / Foto: -gk-