Lernt man das so in der Fahrschule? Links fahren – und sei es auch auf eigenem Bahnkörper?
Ja, in Zürich gehört das zum ganz normalen Programm, und das aus gutem Grund. Denn auch in der sparsamen Schweiz gibt es Fehlplanungen, für die eine gute Ersatznutzung gefunden werden muss. Eine davon war das Konzept, in Zürich eine U-Bahn zu bauen, das letztlich in zwei verschiedenen Anläufen gescheitert ist.
Im ersten Durchgang wurde Ende der 1950er Jahre ein “Tiefbahn-Netz” vorgeschlagen, das die Straßenbahn in der Innenstadt unter die Erde verlegen wollte, außerhalb des Zentrums sollten jedoch die bestehenden Meterspurstrecken weiter genutzt werden. Für den Einsatz an hochflurigen Tunnelbahnsteigen wurden sogar schon passende Fahrzeuge entworfen und geliefert: Bei den Wagen mit dem Spitznamen “Karpfen” liegen alle Türen in einer Ebene, wobei der abgeschrägte Teil der Wagenenden recht kurz ausfällt und den Fahrzeugen eine “bullige” Optik verleiht. Die Konstruktion berücksichtigte außerdem die Option, auch auf der linken Seite Türen einzubauen. 1962 scheiterte der Ansatz aber an einer klaren Ablehnung durch die Stimmbürger. Die Gegner bildeten eine unglückliche Allianz: Die einen wollten die Straßenbahn komplett loswerden und wünschten sich eine “vollwertige” U-Bahn, die anderen waren nicht damit einverstanden, dass die Straßenbahn dem Autoverkehr ausweichen sollte; sie verlangten stattdessen Einschränkungen für den Pkw-Verkehr.
Wenige Jahre später wurde eine neue Planungsrunde gestartet. Dabei sollte der Schienenverkehr in den drei Formaten S-Bahn / U-Bahn / Straßenbahn neu sortiert werden. Für die U-Bahn waren drei Linien vorgesehen. Von diesen stand zumindest die Linie 1 nicht in Frage; sie sollte die beiden wichtigsten Achsen der Stadtentwicklung abdecken: Das Limmat-Tal (Schlieren und Dietikon) und das Glatt-Tal (Oerlikon und Flughafen). Über den Ast ins Glatt-Tal sollte auch der damals rasch wachsende Stadtteil Schwamendingen leistungsfähig erschlossen werden; bisher fuhr dorthin keine Straßenbahn.
Verschiedenen zeitlichen “Knackpunkten” folgend wurden diverse Vorleistungen für die Linie 1 bereits frühzeitig realisiert. Unter dem Hauptbahnhof entstand ab 1968 das riesige unterirdische Einkaufszentrum “Shopville” Noch darunter wurde vorher der Rohbau für die künftige U-Bahn-Station errichtet. Heute endet hier die Sihltal-Zürich-Uetliberg-Bahn (SZU), die 1990 vom ihrem etwas abseits gelegenen Endbahnhof Selnau hierhin verlängert wurde.
In Richtung Schwamendingen sollte die Linie 1 unter einer neuen Stadtautobahn liegen, die ihrerseits teilweise im Tunnel verläuft. Da man auf die Autobahn nicht länger warten wollte, wurde kurzerhand die U-Bahn-Strecke auf einer Länge von knapp 1,4 km mitgebaut. Dieser Rohbau wurde später für den Straßenbahnverkehr hergerichtet.
Die beiden weiteren U-Bahn-Linien erreichten ihre Umsetzungsreife so spät, dass die öffentliche Meinung sich inzwischen gedreht hatte und gegen die weiteren Ausbaupläne richtete. Zürich mit ca. 430 Tsd. Bürgern (Agglomeration 1,3 Mio. Einwohner) ist einfach zu klein für drei Schienenverkehrssysteme. Am fehlenden Geld lag es aber nicht, denn der nationale Eisenbahnknoten und die S-Bahn wurden sehr großzügig ausgebaut. So verlaufen unter dem Kopfbahnhof mittlerweile vier S-Bahn- und vier Fernverkehrsgleise!
Die beiden neuen Straßenbahnlinien nach Hirzenbach und Stettbach verkehren seit 1986 zwischen Milchbuck und Schwamendingen auf 2,5 km unterirdisch in dem bereits erwähnten mitgebauten Tunnel und halten an drei Stationen: Tierspital, Waldgarten und Schörlistrasse. Obwohl man der Bevölkerung ausdrücklich versprochen hatte, die Investition im Falle eines Falles auch für die Straßenbahn nutzen zu können, gibt es einen “Schönheitsfehler”: Mittelbahnsteige! Die Straßenbahnen rollen deshalb im Linksverkehr durch die Tunnelstationen. Am Milchbuck wird der Seitenwechsel durch ein “Überwerfungsbauwerk” bewerkstelligt, auf der Schwamendinger Seite befindet sich jedoch die hier sichtbare Gleiskreuzung. Da diese unmittelbar vor der Haltestelle “Schwamendinger Platz” liegt, hat man scheinbar keine Sicherheitsrisiken befürchtet, obwohl hier werktags zwei Straßenbahnlinien jeweils im 7,5-Minuten-Takt fahren.
Der Hinweis auf die “Geisterfahrer” kommentiert aber auch die blaue Beleuchtung der Tunnelstationen, die diesen eine etwas “grottenhafte” Atmosphäre verleiht.
Natürlich hat es auch in den Jahren nach 1990 neue Anläufe gegeben, eine U-Bahn für Zürich zu propagieren. Erfolg hatten diese Vorschläge jedoch nicht. Die Bedeutung der geplanten U-Bahn-Linie 1 hat sich aber darin niedergeschlagen, dass zwei neue, eigenständige Straßenbahnbetriebe auf den beiden Entwicklungsachsen eingerichtet wurden: Die Verkehrsbetriebe Glatttal (VBG) eröffneten 2006 ihre erste Strecke; die Limmattalbahn ging 2019 mit ihrer ersten Etappe in Betrieb. Hier hat die “Aarau Verkehr AG” (AVA) die Ausschreibung als Betreiber gewonnen.
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