KW25/2022 – Chemnitz & Karlsruhe: Eine “Liaison” auf Zeit

Guido KorffBild der Woche

Das farbenfreudige Pärchen auf unserem “Bild der Woche” hat nur eine kurze Zeit miteinander verbracht und eine noch kürzere Zeitspanne in enger Verbindung. Dafür gab es aber einen durchaus handfesten und besonderen Grund.

Der Transport eines neuen Straßenbahn-Triebwagens vom Herstellerwerk zum Betreiber erfolgt in der heutigen Zeit im Regelfall per Lkw-Tieflader. Trotz der Schwierigkeiten wie enge Kurven, zu niedrige Brücken etc. ist dies meist nicht nur der schnellere, sondern oft auch der kostengünstigere Weg, ein Straßenbahnfahrzeug in seine neue Heimatstadt zu überführen.

Nur noch hin und wieder kommt es vor, dass Straßenbahnfahrzeuge auf der Schiene vom Herstellerwerk zum Betreiber gebracht werden. Dieses Verfahren setzt nämlich voraus, dass das Straßenbahnfahrzeug für die derselbe Spurweite wie die Eisenbahn – hier Normalspur mit 1.435 mm – und für den Betrieb auf Eisenbahnstrecken konzipiert wurde (breitere Radreifen, erhöhter Pufferdruck etc.), wie dies bei den Stadtbahnen “NET 2012” für Karlsruhe und den Hybrid-Stadtbahnen Typ “Citylink” für Chemnitz der Fall ist.

Doch bei diesen beiden Stadtbahnfahrzeugen gibt es noch mehr Gemeinsamkeiten: Sie stammen beide aus dem Werk von Stadler in Valencia, haben beide eine elektrische Ausrüstung von Vossloh Kiepe (jetzt Kiepe Electric) in Düsseldorf und wurden etwa zur selben Zeit bestellt, gefertigt und ausgeliefert.

Und so ergab es sich im Oktober 2015, dass jeweils ein Triebwagen für Karlsruhe und einer für Chemnitz zunächst mit einem Lkw-Tieflader von Valencia zum Verschiffungshafen im spanischen Santander transportiert wurden (ein Transport auf der Schiene war in Spanien schon wegen der unterschiedlichen Spurweite der Eisenbahn von 1.668 mm nicht möglich) und dann per Schiff gemeinsam nach Antwerpen reisten.

Im Zielhafen wurden die Triebwagen eingegleist und dann zusammengekuppelt (was nur dieses eine Mal vorgekommen ist!) nach Wildenrath ins Prüfcenter von Siemens transportiert. Dort trennten sich die beiden Triebwagen wieder und machten sich nach den Tests dann jeweils einzeln auf den Weg nach Karlsruhe bzw. nach Chemnitz.

Dazu wurden sie in einen Zug mit Lokomotive und zwei Bremswagen eingereiht. Die Bremswagen sind auf der einen Seite mit der üblichen Eisenbahn-Zug- und Stoß-Einrichtung ausgerüstet und auf der anderen Seite mit der Scharfenbergkupplung der Stadtbahntriebwagen. So können sie die Stadtbahnfahrzeuge „umschließen“ und der Zugverband kann als Ganzes problemlos in Güterzüge eingestellt werden.

Auf unserem “Bild der Woche” ist der Zugverband nach Wildenrath, bestehend aus Bremswagen vorne und hinten sowie dem Karlsruher Stadtbahnwagen (links) und dem Chemnitzer Stadtbahnwagen (rechts) im Hafen von Antwerpen in der Nacht vom 16. auf den 17. Oktober 2015 zu sehen.

Die Chance, dass sich dieses Motiv bald noch einmal wiederholt, hat der Chemnitzer Betrieb aber leider verstreichen lassen, indem er sich nicht der aktuellen großen Sammelbestellung mehrerer Verkehrsbetriebe angeschlossen hat, die bei Stadler einen in weiten Bereichen standardisierten “VDV Tram-Train” bauen lassen.

Carsten Kossow / Foto: Holger Wilhelm