Wer Münster kennt, bemerkt sofort, dass auf diesem Bild etwas fehlt: die hunderte von Fahrrädern, die in den letzten Jahrzehnten tagtäglich vor dem Gebäude des Hauptbahnhofs abgestellt waren! Durch die weitgehend flache Topographie eignet sich die Stadt wie kaum eine andere in Deutschland für den massenweisen Einsatz dieses umweltfreundlichen Verkehrsmittels. Hinzu kommt, dass etwa jeder fünfte der heute rd. 300.000 Münsteraner hier als Student lebt, die immer schon ein Faible für Drahtesel hatten.
Als 1901 die elektrische Straßenbahn eingeweiht wurde, zählte Münster erst ca. 65.000 Einwohner, wuchs aber rasch und erreichte schon 1915 – auch durch Eingemeindungen – den Status einer Großstadt. Trotzdem blieb die Stadt mit dem fast runden Stadtkern auch danach überschaubar. In ihrer besten Zeit erstreckten sich die vier Straßenbahnlinien auf maximal 12 km durchweg eingleisiger Strecke. Sie durchquerten die Altstadt und befuhren auch den bekannten Prinzipalmarkt.
Da in Münster der Stadtkern trotz der schweren Zerstörungen nach dem Zweiten Weltkrieg – zum Glück! – weitgehend in alter Form wieder aufgebaut wurde, galten die Bahnen in den engen Straßen schnell als Hindernis. Dagegen blieben die neuen Wohnviertel außerhalb der alten Wallanlage ohne Anschluss an die Tram. Die beiden letzten Linien fanden deshalb schon 1953/54 ihren Nachfolger im Obus, der sich seinerseits bis 1968 halten konnte.
Der Wagenpark war während der ganzen Betriebszeit übersichtlich. 25 Triebwagen und 8 Beiwagen bildeten 1901 die Grundausstattung. Wie fast überall in Deutschland folgte in der zweiten Hälfte der 20er Jahre die zweite Generation: 1926 lieferte die Gothaer Waggonfabrik 20 Triebwagen, die etwas größer als die bisherigen ausfielen. „Neue“ Beiwagen gab es erst wieder Anfang der 50er Jahre, davon zwei gebraucht aus Baden-Baden und drei Eigenbauten unter Verwendung alter Teile. Nach der relativ frühen Betriebseinstellung konnten die Fahrzeuge teilweise noch nach Osnabrück und Würzburg verkauft werden.
Obwohl der Hauptbahnhof nur wenige hundert Meter außerhalb des Wallrings liegt, war er stets ein wichtiges Ziel des Münsteraner Nahverkehrs und wurde von der „roten“ Linie in das Hafengebiet bedient. Das Bahnhofsgebäude von 1890 galt später als nicht mehr zeitgemäß und wurde bis September 1930 umgebaut und im Stil der Zeit modernisiert. Das Ergebnis war ein Bau, der seine Türmchen und plastischen Verzierungen weitgehend verloren hatte. Im Zweiten Weltkrieg dienste Münster schon recht früh als Angriffsziel und der erneuerte Hauptbahnhof war davon nicht ausgenommen. Nach seiner völligen Zerstörung entstand bis 1960 ein Ersatz, der wiederum ein typisches „Kind seiner Zeit war“. Die Fahrradmassen auf seinem Vorplatz waren legendär.
Da dieser Bau mangels Pflege in die Jahre gekommen war, sollte ein Nachfolger her. Am 24. Juni 2017 wurde dann das neue „Shopping-Center mit Gleisanschluss“ eingeweiht. Es räumt auch mit dem Wildwuchs vor seiner Tür auf, denn eine „Radstation“ mit 3.300 Einstellplätzen und Service-Einrichtungen wie Reparatur-Werkstatt und Schließfächern soll Ordnung schaffen. Die gesamte Baumaßnahme umfasst weitere Gebäude, darunter ein Hotel, so dass sich im Umfeld die Kräne noch eine Weile drehen werden.
Tw 64 auf unserem Foto aus dem Jahre 1930 stammt aus der Gothaer Serie. Sein Schwesterfahrzeug Tw 65 wurde nach einer langen Odyssee via Hannover in seine alte Heimat zurückgeholt, restauriert und im Foyer des Stadthaus 3 (Städt. Tiefbauamt) aufgestellt. Es ist der letzte existierende Wagen der Münsteraner Straßenbahn.
Auch wenn Vorschläge für Stadtbahnlinien wohl ein Wunschtraum bleiben müssen, konkretisiert sich eine andere „Wiederbelebung“: auf die Strecke der WLE (Westfälische Landes-Eisenbahn) nach Sendenhorst (bzw. Beckum) soll 2023 der Nahverkehr zurückkehren.
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