KW20/2022 – Wuppertal: Manche Wunden heilen nur langsam

Guido KorffBild der Woche

Unser Foto zeigt das sog. “Loher Kreuz” im Zustand des Jahres 1954. Zunächst scheint es ein eher unspektakuläres Bild zu sein – und doch steht es für das ganze Dilemma des Wiederaufbaus in Wuppertal.

Den beiden zum Ende der 1920er Jahre vereinigten Städten Barmen und Elberfeld mangelte es schon lange an einer leistungsfähigen Straßenverbindung entlang der Talsohle. Erkennbar ist dies u. a. an den kurvenreichen Streckenführungen der Straßenbahnen durch getrennte Straßenzüge in den beiden Innenstädten. In den 30er Jahren wurden dann endlich Pläne für eine neue, breite “Allee” zwischen dem Tannenbergkreuz im Westen und der geplanten Anschlusstelle an die Reichsautobahn in Langerfeld im Osten gemacht und schon zahlreiche notwendige Grundstücke erworben. Der beginnende Krieg verhinderte aber die praktische Umsetzung.

Nach Kriegsende konnte zwar zügig mit dem Bau begonnen werden, jedoch bremsten jetzt die mangelnden Budgets das Umsetzungstempo. Um schnell gut sichtbare Ergebnisse zu erzielen, kamen die beiden Innenstädte zuerst an die Reihe. Die Verbindung zur Autobahn und der Lückenschluss zwischen den beiden Stadtzentren in Unterbarmen sollten später folgen.

Auf unserem Foto fällt zunächst die Bebauung auf. Kleine Läden in Barackengestalt prägten vielfach das Straßenbild im Wuppertal der Wiederaufbauzeit. Besonders markant war das Ensemble in Oberbarmen mit Schwebebahn, Straßenbahn, Diesel- und Obus. Hier aber zeigt sich jetzt das Dilemma: Die Baracken folgen der alten Straßenflucht, sie werden also der Verbreiterung des Verkehrswegs wieder weichen müssen – früher oder später, aber wann genau? An vielen Stellen der Stadt waren solche Provisorien noch sehr lange zu besichtigen!

Bemerkenswert ist diese Betrachtung deshalb, weil von Barmen her die moderne Trassierung genau hier endet, die Fortsetzung nach Elberfeld scheiterte an Bürgerprotesten und rettete ein Stück der historischen Verbindung zwischen Barmen und Elberfeld aus napoleonischer Zeit. So schön die erhaltenen Häuser auch sind, der Abschnitt zwischen Loher Kreuz und Haspel blieb jedoch immer ein Nadelöhr für den Verkehr!

Entgegen der gebräuchlichen Bezeichnung verfügte die Straßenbahn am Loher “Kreuz” nur über ein Dreieck, in dem die Strecke der Barmer Straßenbahn zum Krankenhaus aus den Gleisen der ehemals Barmen-Elberfelder Straßenbahn ausfädelte. Wir sehen rechts zwei Straßenbahnen der damals neuesten Baureihen – genauer: einen Dreiachser und einen Vierachser. Die ersten Düwag-Vierachser (1005-1020) kamen 1953/54 nach Wuppertal. Die Dreiachser von Westwaggon (1001-1004) stammen aus dem Jahr 1954, ab Ende 1958 rollten die ersten in Achtachser umgebauten Düwag-Wagen durchs Tal. Die linke Tram trägt die Liniennummer 11, denn das moderne Wagenmaterial wurde bevorzugt auf der besonders stark frequentierten Talsohle eingesetzt. Nach links zweigt die Linie zum Krankenhaus ab, die erst viel später Nachkriegswagen im Einsatz sah. Dieser Abschnitt war am 6. August 1914 in Betrieb gegangen und man verlängerte die Linie 2 (von Hiddinghausen kommend) dorthin. Der Abzweig im Bild Richtung Elberfeld existierte noch bis 1970 (!), als man auf der Talsohle dort einen veränderten eigenen Gleiskörper im Zuge der endlich “angekommenen” Verbreiterung anlegte.

Zurück zu weiteren Bildinformationen. Ein Ford, ein Opel und vor allem drei Volkswagen “Käfer” bevölkern die Straße und zeigen zugleich, mit welchen Fahrzeugtypen die kommende “Massenmotorisierung” Fahrt aufnehmen sollte. Das originale Käfer-Cabrio in der Bildmitte erinnert uns an den Wuppertaler Karosseriebauer Hebmüller. Das alteingesessene Unternehmen hatte ein eigenes, formschönes Cabrio-Modell auf Käferbasis entwickelt und VW bestellte 2.000 Stück. Ein neues Werk in Wülfrath nahm die Produktion dafür auf. Doch ein Großbrand im Jahre 1949 führte letztlich zur Insolvenz – lediglich 696 Hebmüller-Cabrios wurden gefertigt – heute sehr gesuchte Oldtimer!

Die Bebauung am Loher Kreuz hat sich bis heute völlig gewandelt. Moderne Bauten haben schon längst die Buden abgelöst. An zwei Besonderheiten sei erinnert. Links steht heute ein großes Geschäftshaus mit der Praxis von Zahnarzt Dr. Dirk Specht. Daneben hat ein sich ebenerdig großzügig ein Fitnessstudio eingerichtet. Hier war jedoch zunächst ab 1956 im gleichen Gebäude das Kino „Casino Barmen“ mit 652 Plätzen ansässig. Und einige Häuser weiter westlich – schon im Zuge des verbliebenen, engeren Abschnitts der Allee konten die Unterbarmer die „Grünsiegel-Passage“ bestaunen. Weit in den rückwärtigen Raum der Allee konnte man so – durch ein großes Glasdach geschützt – an zwölf verschiedenen Läden links und rechts vorbei flanieren, in eine große Gaststätte mit Kegelbahnen einkehren oder aber ins „Bali-Barmen“ gehen, um sich dort auf einem der 500 Kinosessel alte und neue Filme samt Wochenschau anzuschauen. Es ist nicht nur Nostalgie, an diese Einrichtungen zu erinnern. All diese Angebote waren gut mit der Straßenbahn zu erreichen und sorgten für ein hohes Fahrgastaufkommen!

Michael Malicke / Foto: Klaus Sieper (Sammlung BMB)