Carsten Kossow war bei Kiepe Elektrik Leiter des Projekts “Remodelados.” Eine Probefahrt des ersten modernisierten Fahrzeugs hat ihn und seine Mitstreiter ganz schön ins Schwitzen gebracht – mit einer Ausnahme. Carsten berichtet:
Im Rahmen des Modernisierungsprojektes „Remodulados“ war vereinbart, dass der Prototyp-Triebwagen 270 bei der MAN in Nürnberg modernisiert werden und dann als Anschauungsobjekt für Carris – den Verkehrsbetrieb in Lissabon – dienen sollte. Carris wollte anschließend die Modernisierung der Serie mit den gelieferten Komponenten selbst durchführen. Nachdem dieser modernisierte Prototyp 1994 zurück nach Lissabon geliefert worden war, stand die erste Inbetriebnahmefahrt an, die von der Hauptwerkstatt an der Rua 1º de Maio auf die Linie 18 nach Ajuda gehen sollte, die mit 14,5 % Steigung den steilsten Streckenabschnitt nicht nur Lissabons, sondern weltweit aufweist. An Bord der Bahn waren neben den Inbetriebnehmern von Kiepe und MAN auch die Werkstattchefs des Verkehrsbetriebs. Auf dem Weg nach Ajuda wurde das allgemeine Fahrverhalten des neuen Fahrgestells und insbesondere das Beschleunigungs- und Bremsverhalten überprüft. Um den korrekten Lauf der ebenfalls neuen Gleichstrom-Reihenschluss-Motoren besser beobachten zu können, waren zuvor die Wartungsöffnungen im Fahrgastraum und die Deckel über den Kollektoren geöffnet worden.
Nun stand die erste “Gefahrenbremsung” an. Alle Beteiligten waren bis dahin hochzufrieden mit dem Fahr- und Bremsverhalten. Die Bahn beschleunigte, der Fahrer legte die Schienenbremse ein und bremste mit maximaler Verzögerung. Durch die Wartungsöffnung konnte man das unterflurig vor den Achsen montierte Brems-Ausgleichswiderstandspaket sehen, dessen Widerstandswendeln sich nun glühend rot färbten. Fast gleichzeitig strömte nun schwarzer Rauch durch die Öffnungen in den Fahrgastraum, der in Sekunden davon ausgefüllt war. Alle Beteiligten schauten sich entsetzt an und fragten sich: „Was ist passiert?“ Mir schossen sofort wilde Gedanken durch den Kopf: Hat sich Kiepe bei der Bremsberechnung vielleicht doch verrechnet und die Fahrmotoren und/oder Bremswiderstände falsch dimensioniert? Wie kriegen wir das jetzt wieder hin? …
Als sich der Rauch langsam verzog, stand der Kiepe-Inbetriebnehmer auf, der bis dahin ruhig auf seinem Platz gesessen hatte, schaute kurz durch die Öffnung zu den Motoren und dem Widerstandspaket und sagte mit ruhiger Stimme: „Der Rauch kommt von dem verbrannten Öl und Fett, das auf die Widerstandswendeln bei der Herstellung aufgebracht wurde. Bei der dritten Bremsung ist alles verbrannt.“
Und so war es dann auch. Schon bei der nächsten Bremsung stieg kaum noch Rauch auf. Alle Beteiligten schauten sich spürbar erleichtert an. Die weitere Inbetriebnahme verlief ohne besondere Vorkommnisse und der Triebwagen meisterte die extreme Steigung problemlos.
Wie wir heute wissen, wurde das Projekt mit 45 modernisierten Triebwagen der Baujahre 1935 – 1940 (heute Nr. 541 – 585) in den Jahren 1995/96 erfolgreich umgesetzt. Die kleinen Wagen sind heute ein Wahrzeichen der portugiesischen Hauptstadt und bei Touristen überaus beliebt. Die langen Schlangen der wartenden Fahrgäste zu manchen Tageszeiten sind dafür der beste Beweis!
Text und Foto: Carsten Kossow