KW15/2022 – Wuppertal: Das Runde muss an das Eckige

Guido KorffBild der Woche

Bern 1954: Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft wird überraschend Weltweister. Trainiert wird sie von Sepp Herberger, der uns vor allem auch durch seine “punktgenauen” Fußballweisheiten in Erinnerung geblieben ist. Eine davon haben wir uns als Motto für das aktuelle Bild der Woche ausgeborgt und nur leicht verändert.

Wuppertal 1955: Auf der Talbahn verkehren die modernsten Straßenbahnwagen, die die Wuppertaler Stadtwerke (WSW) zu diesem Zeitpunkt zu bieten haben. Unser Bild gibt einen ungewohnten Blick auf das Elberfelder Stadtzentrum frei – genauer gesagt, auf die Kreuzung Hofkamp/Morianstraße mit einem Ausschnitt der Innenfläche des dortigen Postamtes. Modernste Fahrzeuge auf Schiene und Straße!

Der Fotograf löst genau zu dem Zeitpunkt aus, als ein Zug der Talbahn in Fahrtrichtung Westen die Straßenkreuzung passiert. Noch stehen große Teile der City in Trümmern. Nur das repräsentative Wohn- und Geschäftshaus rechts, in dessen Hintergrund der Karlsplatz in die Gathe mündet, ist bis heute dort anzutreffen. In der Ferne erkennen wir den Turm der Diakoniekirche in der Nordstadt.

Im Jahr 1953 hatten die WSW die ersten beiden Großraumtriebwagen für die Normalspur erhalten. Düwag lieferte zwei je 14 m lange Fahrzeuge mit unterschiedlicher Antriebstechnik. Wagen 1005 erhielt noch vier Motore mit je 50 kW, Wagen 1006 dann schon die neue Düwag-Technik mit Tandemantrieb, aber schwächeren Motoren (2x 89 kW). Diese beiden Wagen und die nachfolgenden Bahnen der gleichen Serie (bis Nr. 1020) wiesen die Wuppertaler Besonderheit der pedalgesteuerten, elektropneumatischen Kiepe-Schützensteuerung auf.

Unser Foto wird wohl im Hochsommer des Jahres 1955 entstanden sein. Zu dieser Zeit verkehrt die Linie 11, die bereits an den Endstationen Gabelpunkt und Weiherstraße Gleisschleifen besitzt, mit den “modernsten” – man sollte wohl eher sagen “neuesten” – Anhängern im Tal: Den KSW-Beiwagen Nr. 515 bis 537! Ende 1955 ist dann auch die Schleife in Schwelm fertig und diese modernsten Züge kommen zusätzlich auf der Linie 18 (Sonnborn-Schwelm) zum Einsatz.

Es ist die Zeit der “Nierentische”; rundliche Formen wie beim Straßenbahntriebwagen sind in Mode und lösen die eckigen Formen der früheren Jahrzehnte ab. Der KSW-Beiwagen ist also trotz seiner jungen Jahre dem Design nach ein Relikt einer überwunden geglaubten Zeitepoche!

Den Betrachter dürften aber auch die gefälligen, neuzeitlichen Lastkraftwagen der Bundespost – durchweg von der Marke mit dem “Stern” – erfreuen. Bei den Pkw dominiert Opel – damals noch ein führender Anbieter auf dem deutschen Markt; aber auch zahlreiche VW-Käfer und sogar ein Wagen aus dem Hause Borgward parken auf den noch zahlreichen Freiflächen. Die Morianstraße verläuft übrigens direkt hinter der Mauer des Posthofs; damals natürlich noch ohne Straßenbahnschienen in diesem Bereich.

Die Uhr an der Hauswand zeigt 12 Uhr 35. Vielleicht ist heute ein Samstag, an dem seinerzeit noch bis Mittag gearbeitet wird. Dafür spricht die Anzahl der parkenden PKW gegenüber, denn nennenswerte Wohnbebauung gibt es hier auch damals nicht. Später ensteht auf der freien Fläche der Neubau des Hertie-Warenhauses, das wiederum längst dem Elektronikmarkt Saturn weichen musste. Wahrscheinlich herrscht um diese Zeit noch Hochbetrieb in den Geschäften und Warenhäusern; die Läden schließen ja samstags schon um 14:00 Uhr.

Michael Malicke / Foto: Sammlung Michael Malicke