Fünfzehn PCC-Wagen sind diesmal auf unserem “Bild der Woche” zu erkennen. Das Motiv erinnert fast ein wenig an das berühmte Foto mit den fabrikneuen ÜHIIIs-Obussen in Solingen-Hästen. Standort des Fotografen ist die Queen Street an der Ecke Bay Street, links außerhalb des Bildes liegt das Rathaus der Stadt.
Es ist 05:30 Uhr an einem Morgen im Mai 1974. Die Straßenbahnstrecke entlang der Queen Street ist auch heute noch die längste und am stärksten frequentierte Linie in Kanadas größter Stadt (ca. 2,7 Mio. Einwohner). Der öffentliche Nahverkehr in der Innenstadt mit ihrem schachbrettartigen Grundriß – und entsprechendem Liniennetz – wird von der Straßenbahn dominiert – nur eine der vier Metro- und Stadtbahnlinien dringt in das Zentrum bzw. zum Hauptbahnhof vor.
Die Straßen sind im Laufe der Jahre auch nicht breiter geworden, folglich verkehren die Bahnen immer noch überwiegend straßenbündig. Lediglich vom amerikanischen Prinzip der in dichtem Takt verkehrenden Vierachser – dem Grundgedanken der PCC-Konstruktion – hat man sich über die Jahre verabschiedet. Selbst auf unserem Bild erkennt man bei genauem Hinsehen schon PCCs, die paarweise im Einsatz stehen.
Aktuell haben fünfteilige “Flexity”-Triebwagen ihre vier- und sechsachsigen Vorgänger abgelöst. Obwohl Bombardier ein kanadisches Unternehmen ist bzw. war, plagten den Hersteller aber auch hier Qualitäts- und gravierende Lieferprobleme. Andererseits lief der Verkehrsbetrieb TTC (Toronto Transit Commisssion) selbst auch der Modernisierung hinterher: Die neuen Niederflurwagen verkehren auf verschiedenen Linien mit Stangenstromabnehmern, weil die rechtzeitige Anpassung der Fahrleitung versäumt wurde.
Eine weitere Kuriosität stellt die Spurweite von 1.495 mm dar, die man angeblich gewählt hat, um den Eisenbahnen das Durchqueren der Stadt auf öffentlichen Straßen zu erschweren. Das ist so abwegig nicht, denn diese “Ortsdurchfahrten” waren in nordamerikanischen Siedlungen früher durchaus üblich!
Wer die US-amerikanische Straßenbahn-Historie kennt, mag es kaum glauben: Mit 75 km Streckenlänge und elf Linien liegt die Straßenbahn in Toronto heute an der Spitze der Betriebe auf dem amerikanischen Kontinent! Es spricht außerdem einiges dafür, dass sich Toronto auf diesem Rang behaupten kann, denn es sind einige neue (Stadtbahn-)Strecken geplant.
Natürlich hat sich auch das Erscheinungsbild der Queen Street in den letzten 50 Jahren gewandelt; moderne Architektur und deutlich höhere Bauten prägen die moderne Stadt. Dennoch gibt es auch historische Monumente. Im drittletzten höheren Gebäude auf der rechten Seite aus dem Jahr 1896 befindet sich der “Flagship”-Store des Kaufhaus-Konzerns “Hudson’s Bay”. Hervorgegangen aus einem Monopol für den Pelzhandel in den Pionierjahren, entstand daraus ein Unternehmen, das Lebensmittel und Gebrauchsgüter in die entlegenen Gegenden brachte. Damit wurde “The Bay” zu einer kanadischen Institution. In Deutschland trat das Unternehmen von 2015 bis 2018 als vorübergehender, aber glückloser Eigentümer der “Kaufhof”-Warenhäuser in Erscheinung, die dann an Karstadt weitergereicht wurden.
Dass der oben erwähnte Name der Kette einem bekannten Internet-Marktplatz als Anregung gedient haben könnte, ist aber nur ein von Ihrem Chronisten frei erfundenes Gerücht.
-gk- / Foto: Ted Wickson / JBC Visuals (Sammlung –gk-)