KW10/2023 – Bratislava: Österreichisch-ungarischer Grenzverkehr

Guido KorffBild der Woche

Vor rund 150 Jahren gab es schon einmal einen Staatenverbund in Europa, der viele Völker und Sprachen unter seinem Dach vereinte. Die Rede ist von der Österreichisch-Ungarischen Doppel-Monarchie, oft auch “k. u. k.” genannt. Der ungarische Reichsteil, für den das zweite “k.” wie “königlich” steht, genoss darin gewisse Freiheiten. Während die tschechische Republik als Böhmen zu Österreich zählte, gehörte die heutige Slowakei lange Zeit zum ungarischen Reichsteil. Natürlich waren beide Teile eng verknüpft, aber eine gewisse Differenzierung musste doch sein.

Ein schönes Beispiel ist die bekannte “Pressburger Bahn”, die die beiden bedeutenden Städte Wien und Pressburg (bis 1996 “Preßburg”)  – das heutige Bratislava – miteinander verband. Die Strecke verließ Wien in südöstlicher Richtung, folgte durchweg der Donau und überquerte erst kurz vor Pressburg den Fluss.

Die rd. 70 km lange elektrische “Interurban” wurde Anfang Februar 1914 eröffnet. Sie war normalspurig und wurde im Überlandabschnitt (ca. 48 km) schon damals mit 15 kV / 16 ⅔ Hz betrieben. Die Innenstadtabschnitte an beiden Enden waren dagegen nur mit 600 V (Wien) und 550 V (Pressburg) Gleichstrom versorgt.

Es gab also von Beginn an zwei Systemwechsel-Bahnhöfe. Da die ungarische Regierung keinen Verkehr einer österreichischen Bahngesellschaft auf ihren Territorium dulden wollte, musste eigens für den ungarischen Abschnitt die P.O.H.É.V (Pozsony Országhatárszéli Helyiérdekű Villamos Vasút = Grenzüberschreitende elektrische Lokalbahn Bratislava) gegründet werden. Diese Abkürzung sehen wir auch an der abgebildeten Lok angeschrieben. Bei diesen letzten zehn Kilometern handelte es sich allerdings fast nur noch um eine städtische Strecke, die Systemwechselstelle lag nahe der Grenze.

Die hier gezeigte Eg 6 wurde zusammen mit der Eg 5 für zwei Aufgaben erworben: Die jeweils ersten beiden Personenwagen der Fernzüge wurden von den Loks in die Innenstadt von Preßburg weiterbefördert, während der Rest der Garnituren im Systemwechsel-Bahnhof Kopčany deren Rückkehr abwartete; außerdem übernahmen sie den Güterverkehr. Für den reinen Binnenverkehr standen zweiachsige Straßenbahnwagen zur Verfügung.

Die Straßenbahn in Pressburg ist meterspurig und so erreichten die Überlandzüge die Innenstadt auf Dreischienen-Gleisen. Schon 1935 wurde der Betrieb bis zur Grenze auf alleinige Meterspur umgestellt, so dass dort fortan umgestiegen werden musste  Nach einigen Jahren Abstellzeit wurden die beiden normalspurigen E-Loks 1941 an Stern & Haferl verkauft und bei der Linzer Lokalbahn eingesetzt. Beide sind heute noch erhalten: Eg 5 in Mariazell und Eg 6 in Bratislava. Sie war noch bis 2011 in Linz im Einsatz, wurde dann aber in die Slowakei überstellt und in Bratislava äußerlich aufgearbeitet. Sie befindet sich heute in einem Eisenbahnmuseum, das im ehemaligen Ostbahnhof von Bratislava untergebracht ist. Dieser Kopfbahnhof liegt direkt gegenüber vom Hauptbahnhof.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der grenzüberschreitende Bahnbetrieb dauerhaft unterbrochen. Seitdem fehlt auf österreichischer Seite ein 4 km langer Gleisabschnitt bis zur Grenze. Auf dem Rest fährt heute die S-Bahn-Linie S7. In der Slowakei zog sich die Straßenbahn auf das östliche Flussufer zurück.

Seit den politischen Umbrüchen in Mitteleuropa kam es zu verschiedenen Anläufen, den grenzüberschreitenden Verkehr wieder einzurichten. Ein Vorschlag basierte sogar auf dem Einsatz von Stadtbahnwagen, die auf Straßenbahngleisen auch wieder die Innenstadt von Bratislava erreichen sollten. Als Reste dieses glücklosen Projekts kann man an der Auffahrt zur neuen Donaubrücke Dreischienengleise und -weichen besichtigen. Sie folgen den Straßenbahngleisen, die die Neubaugebiete in Petržalka auf dem westlichen Donauufer erschließen sollen. Vielleicht kommen die Strecken ja doch noch zueinander?

-gk- / Foto: -gk-