In der japanischen Stadt Fukui, Hauptstadt der gleichnamigen Präfektur, die gut 260.000 Einwohner zählt und am Japanischen Meer etwa in der Mitte auf der größten der vier japanischen Hauptinseln Honschu liegt, gibt es eine weitere deutsche Straßenbahn im Exil – den schon fast legendäre Gelenktriebwagen GT4 der Stuttgarter Straßenbahnen.
In ihrer schwäbischen Heimat ging im Dezember 2007 die Ära dieses Fahrzeugtyps zu Ende, als die letzte von insgesamt 350 Straßenbahnen aus dem Linienbetrieb verabschiedet wurde. Doch in anderen Städten sind einige dieser Fahrzeuge auch noch heute unterwegs. Und eine dieser Städte ist Fukui.
Aber wie ist dieser Straßenbahn-Triebwagen dorthin gekommen?
Zwischen 1959 und 1965 baute die Maschinenfabrik Esslingen 350 Gelenktriebwagen für die Stuttgarter Straßenbahnen. Diese Fahrzeugserie ist die größte jemals in Deutschland für einen Verkehrsbetrieb hergestellte Serie von Gelenk-Straßenbahnen. Die Fahrzeuge wurden mit einer elektropneumatischen Schützensteuerung von Kiepe Electric in Düsseldorf ausgestattet, da sich diese Steuerung am besten für die steilen Strecken in Stuttgart eignete.
Als Stuttgart 1986 begann, sein Straßenbahnnetz von Meterspur auf Normalspur umzustellen, wurden die GT4 nach und nach nicht mehr benötigt und, da sie noch in recht gutem Zustand waren, an andere Städte abgegeben.
So übernahm im November 1989 der japanische Straßenbahnbetrieb der japanischen Hafenstadt Kochi (325.000 Einwohner, auf der kleinsten japanischen Hauptinsel Shikoku gelegen – siehe Bild der Woche KW07/2022) die beiden Wagen mit den Betriebsnummern 714 und 735. Da es sich bei den Stuttgarter GT4-Triebwagen um Einrichtungs-Fahrzeuge handelt, in Kochi aber wegen der fehlenden Wendeschleifen ausschließlich Zweirichtungsfahrzeuge verkehren können, wurden die A-Teile beider Wagen zu einem Zweirichtungsfahrzeug zusammengesetzt. Der neu entstandene Wagen führt die Nummer 735, erhielt allerdings keine zusätzlichen Türen, sodass aufgrund des Linksverkehrs in Japan nur die beiden Türen an der in Fahrtrichtung hinteren Hälfte benutzt werden konnten. Zudem musste der Wagen von der Stuttgarter Meterspur auf die in Japan übliche Kapspur (1.067 mm) umgespurt werden.
Um den Fahrgästen bewusst zu machen, dass es sich bei dieser Straßenbahn um ein Fahrzeug aus Deutschland handelt, wurden nicht nur die originale deutsche Beschriftung und die Reklame belassen, sondern auch deutsche Fahnen und ein kleiner Deutschkurs in Form von Aufklebern in Fahrzeuginnern angebracht (hierzu mehr beim nächsten Bild der Woche).
Nach mehrjähriger Abstellung wurde das Fahrzeug dann Anfang 2014 an die Straßenbahn Fukui abgegeben. Dort wurde der Wagen aufgearbeitet und ist seitdem im planmäßigen Fahrgastbetrieb auf einer Sonderlinie unterwegs, die am Wochenende verkehrt. Die Kosten für Erwerb und Unterhalt dieses als „Retram“ bezeichneten GT4 übernahm die Präfektur Fukui. Auf dem Bild der Woche ist Triebwagen 735 in Fukui auf dem Gelände des Depots am südlichen Ende der Überlandstrecke zu sehen, dahinter einer der schweren Eisenbahnzüge, die früher auf dem Weg zum Bahnhof in Fukui wie Straßenbahnen unterwegs waren. Heute verkehren hier u. a. moderne Niederflurwagen – und das sogar als eine Art “Tram-Train”.
Carsten Kossow / Foto: Carsten Kossow