KW07/2022 – Kochi: Straßenbahnen im Exil (1)

Guido KorffBild der Woche

Wer einmal in Japan war, wird festgestellt haben, dass sich das Land viel „westlicher“ präsentiert als man erwartet. Neben der amerikanischen Kultur haben auch einige deutsche Dinge Kultstatus erlangt. Dazu zählen z. B. verschiedene Auto-Typen von Volkswagen, die man immer wieder mal als Oldtimer auf den Straßen antreffen kann. Einer ähnlichen Beliebtheit erfreuen sich deutsche und europäische Straßenbahnwagen, die gleich von mehreren Betreiben importiert wurden. Hiroshima und Kochi stechen hier besonders hervor.

Kochi, eine Industriestadt von etwas über 300 Tsd. Einwohnern, unterhält einen Straßenbahnbetrieb aus zwei Linien, von denen die eine parallel zur Küste weit in die Vororte hinausreicht. Die andere verbindet den Hauptbahnhof mit einem Industriegebiet am Hafen, wo sich auch das Depot befindet.

Dort entdeckt man neben einigen historischen Fahrzeugen aus der eigenen Geschichte auch Fahrzeuge, die früher ihre Heimat in Europa hatten. Ein Vierachser aus Lissabon, ein Zweiachser aus Graz und ein „Goldfisch“ aus Oslo sollen als Attraktionen zusätzliche Fahrgäste anlocken. Ein Stuttgarter GT4 vervollständigte früher ein europäisches Quartett, wurde aber schon vor einigen Jahren nach Fukui weitergereicht.

Die insgesamt 46 „Gullfisker“ (Goldfische) entstanden in den Jahren 1937-39, um den veralteten, durchweg zweiachsigen Wagenpark der norwegischen Hauptstadt aufzufrischen. Zwei Türen bei einer Wagenlänge von 15,40 m deuten schon an, dass die großen Drehgestell-Wagen eher für den Einsatz auf Vorortstrecken gedacht waren, von denen damals einige noch als Straßenbahnen betrieben wurden, heute aber zu einem Teil in das U-Bahn-Netz integriert sind. Mit 2,50 m Wagenbreite boten die „Goldfische“ sicher auch einen guten Reisekomfort.

Das Besondere an den Wagen ist jedoch ihr Design, das ihnen auch den Spitznamen eingebracht hat. Da die befahrenen Strecken damals alle bereits über Wendemöglichkeiten verfügten, entstanden die Fahrzeuge als Einrichtungswagen mit einem markanten „Coupé“-Heck, das stark abgeflacht ist. Das sollte wohl stromlinienförmig wirken – nach dem Muster zeitgenössischer PKW.

In Kochi fehlen jedoch die Wendemöglichkeiten und der aus Oslo übernommene Wagen 198 musste als Zweirichtungswagen hergerichtet werden. Der Arbeitsplatz für den Fahrer dürfte unter dem steil abfallenden Heck folglich bei Rückwärtsfahrt nicht allzu großzügig bemessen sein. Da in Japan andere Vorschriften im Hinblick auf die Beleuchtung gelten, reichte als Nachrüstung ein etwas klobiger Dachscheinwerfer aus. Die unter dem Fenster verbliebenen Rücklichter wirken deshalb auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich, wenn einem der Wagen in „Rückwärtsfahrt“ entgegenkommt.

Im Inneren ist die Decke mit einer Darstellung der norwegischen Küstenlinie bemalt, damit die Fahrgäste erfahren, wo der Wagen ursprünglich herkommt. Schließlich wurden auch noch die Türen auf die linke Wagenseite umgesetzt, weil in Japan Linksverkehr herrscht. Auf unserem Foto fährt der Wagen also auf dem richtigen / linken Gleis von links nach rechts.

-gk- / Foto: –gk-