KW 37/2018 – Am Wittener Rathaus immer geradeaus…

Guido KorffBild der Woche

Die Szenerie ist bekannt: Der Platz vor dem Wittener Rathaus, dessen wuchtigen Turm wir links sehen. Ihm gegenüber erhebt sich die ev. Johanniskirche über dem Kornmarkt, der viele Jahre lang als Busbahnhof diente. Man beachte: doppelt so viele Straßenbahnwagen wie Pkw im Bild, aber das mag am Wochentag liegen, denn die zahlreichen gutgekleideten Passanten und der Sonnenstand deuten auf einen Sonntagvormittag hin, der nach dem Kirchgang jetzt vielleicht zu einem Schaufensterbummel genutzt wird.

Straßenbahnfreunde fahren in letzter Zeit öfter nach Witten, denn der idyllische eingleisige Gleisabschnitt entlang der Autobahn A 44 soll schon bald durch eine neue Verbindung über den Bochumer Stadtteil Langendreer abgelöst werden. Dann endet auch der Einsatz der M6-Triebwagen im Netz der Bogestra und alle Straßenbahnlinien verkehren endlich barrierefrei / niederflurig.

Die Linie 10 nach Heven – oder 310, wie sie nun schon fast 40 Jahre heißt – war früher nicht die einzige Straßenbahnverbindung in der westfälischen Beinahe-Großstadt (heute 96 Tsd. Einwohner), außerdem war sie auch noch ein Stück länger als heute; sie reichte nach Überquerung der Ruhr bis in den kleinen Ort Herbede.

Wer die gezeigte Stelle in den letzten Jahren besucht hat, kennt die scharfe Kurve, die die Gleise nach links in die Bahnhofstraße nehmen. Ungewohnt wirkt deshalb das Gleispaar, das von den beiden Gastell-Triebwagen auf Linie 7 an den Haltestelleinseln in der Ruhrstraße direkt auf den Betrachter zuläuft. Es ist eben wenig bekannt, dass neben der Linie 12 bzw. 320 nach Witten-Annen-Nord (stillgelegt 1985) auch noch eine Strecke nach Süden, bis zum Denkmal in Bommern, führte. Diese Linie wurde von 1899 bis zum 18. Oktober 1954, zuletzt von der damaligen SL 10, befahren.

In der Blütezeit des Ruhrgebiets entstanden zahlreiche eigenständige Straßenbahngesellschaften, die auch abseits der großen Städte zwischen den mittelständischen Orten leistungsfähige Schienennetze knüpfen wollte. So schob sich die „Märkische Straßenbahn“ ab 1899 wie eine Nord-Süd-“Barriere” zwischen die Netze von Bochum und Dortmund. Im Jahre 1939 verlief unsere Linie fast schnurgerade Richtung Norden und verband als SL 27 Bommern über Witten, Langendreer und Lütgendortmund mit Castrop.

Da das Verkehrsaufkommen in dem noch dünn besiedelten Streifen zwischen den großen Städten nicht ausreichte, schlüpfte die „Märkische Straßenbahn“ schon 1912 unter das Dach der „Bochum-Castroper Straßenbahn“, die ihrerseits im gleichen Jahr in der „Westfälischen Straßenbahn“ aufging. Zwanzig Jahre später (1931) war auch diese Gesellschaft am Ende und wurde Teil der heutigen Bogestra.

Trotz der schwachen wirtschaftlichen Basis versuchten die Eigentümergemeinden immer wieder, die Gesellschaft als Instrument ihrer Wachstumspolitik zu nutzen. Von Bommern aus sollte so das südlicher gelegene Wengern an das Netz angeschlossen werden, um Arbeitskräfte und Einkäufer nach Witten zu locken. Jörg Rudat berichtet in seinem Buch „Bitte zusteigen – Mit der Linie 4 von der Volme an die Ruhr“ sehr anschaulich, wie auch die Hagener Straßenbahn von Wetter her um dieses Fahrgastpotenzial kämpfte und letztlich den Sieg davontrug.

Bemerkenswert ist an dieser Stelle auch noch, dass die kommende neue Verbindung der SL 310 zwischen Langendreer und Witten-Crengeldanz als Abschnitt der Nord-Süd-Strecke der “Märkischen Straßenbahn” also schon einmal Gleise gesehen hat. Bis Ende 1951 konnte man von Witten auf der Schiene mit SL 27 direkt nach Langendreer gelangen, wie es auch demnächst wieder sein wird.

-gk- / Foto: Sammlung -gk