KW 39/2018 – Hamburg: 1978 – Die Stange nimmt ihren Abschied in Deutschland

Guido KorffBild der Woche

Wer unser aktuelles Bild der Woche aus Hamburg betrachtet, spürt fast den Pulsschlag der Metropole – und die Mönckebergstraße war eine ihrer wichtigsten Verkehrsadern. Sie verbindet den Hauptbahnhof mit dem Rathausmarkt, dem Herzen der stolzen Hansestadt.

Vor vierzig Jahren verschwand endgültig ein großer Teil der „roten Blutkörperchen“ aus diesem System, denn die Straßenbahnlinie 2 stellte in der Nacht vom 30. September zum 01. Oktober 1978 als letzte ihren Betrieb zwischen Rathausmarkt und Schnelsen ein. Bis dahin hatten die kantigen Vierachser der Waggonfabrik Falkenried mit ihrer rot-creme-farbenen Lackierung das Straßenbild deutlich mitgeprägt. Zugleich endete der letzte reguläre Fahrbetrieb mit Stangenstromabnehmer bei einem deutschen Straßenbahnbetrieb.

Unser Motiv zeigt die Mönckebergstraße, die auch heute noch eine der Hauptverkehrsadern Hamburgs darstellt, obwohl der Automobilverkehr stark eingeschränkt wurde. Unter der Straße verläuft nämlich ein Abschnitt der ersten Hamburger U-Bahn-Linie, eröffnet 1912. Im hier dargestellten Stadtbereich lagen damals überwiegend ziemlich heruntergekommene Wohnbereiche (sog. „Gängeviertel“), in denen sich Trinkwasserversorgung und Kanalisation schon lange nicht mehr in einem zeitgemäßen Zustand befanden. Deshalb fand hier die letzte Cholera-Epidemie von 1892(!) besonders viele Opfer.

Es kam zu einer „Radikalkur“, bei der nach großflächigem Abriss der Wohnbauten ein modernes Geschäftsviertel hochgezogen wurde. Die hier sichtbaren Gebäude wirken zwar „historisch“, sind aber in ihrem Inneren Stahlbetonkonstruktionen mit moderner Infrastruktur wie Aufzügen etc. Den einheitlichen Entwurf der Straße erkennt man an der durchgängigen Dachhöhe der Gebäudezeile. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die ursprünglichen Formen – teilweise vereinfacht – rekonstruiert. Die links sichtbare Spitaler Straße zählt heute zu den „TOP 3“ der deutschen Einkaufsstraßen.

Das „Tempelchen“ im Vordergrund beherbergte eine öffentliche „Bücherhalle“, heute dagegen ein Schnellrestaurant. Der Brunnen vor dem Gebäude erinnert an den Hamburger Bürgermeister Johann Georg Mönckeberg (1839-1908), der den Stadtumbau angestoßen hatte, aber dessen Vollendung nicht mehr selbst erleben konnte.

Wie auch andernorts waren die letzten beiden Jahrzehnte der Hamburger Straßenbahn gekennzeichnet durch eine seltsame Mischung aus Modernisierung und Rückbau. Eigenen Bahnkörpern in breiten Straßen (man denke nur an die Rampenanlage an den Deichtorhallen) stand die kontinuierliche Beschneidung des Netzes gegenüber, das 1955 seinen Höhepunkt in der Nachkriegszeit erreicht hatte. In jenem Jahr war die SL 1 im Altonaer Westen nach Lurup verlängert worden, zugleich eine der wenigen Stellen, an denen das Netz die Außengrenze des Stadtstaats überschritt.

Eine Entwicklung, die Hamburg gegenüber der Masse der anderen deutschen Straßenbahnbetriebe dagegen positiv auszeichnete, war die frühe Einführung vierachsiger Triebwagen. Sie begann schon 1897, nachdem sich 1896 ein dreiachsiger Probewagen mit US-amerikanischer Technologie nicht bewährt hatte. Aus einer Serie von 50 Fahrzeugen der Baujahre 1897-1901 entstammte auch Tw 2030, dem wir auf unserem Bild aus den 30er Jahren begegnen. Er überlebte sogar den Zweiten Weltkrieg, erhielt eine neue Nummer und gehörte noch für ca. zehn Jahre zum Arbeitswagenpark.

Eine Besonderheit der Hamburger Vierachser war bis zuletzt ihr geringer Abstand zwischen den Drehpunkten der Drehgestelle von 5,20 m. Dieser Wert war wohl einer Schiebebühne in der Hauptwerkstatt geschuldet. Da ab Mitte der 30er Jahre Wagenlängen von etwa 14 m bei den Vierachsern zum Standard wurden, ergaben sich enorme Überhänge an den Wagenenden, die die bekannten, spitz zulaufenden Wagenkästen erforderlich machten. Die drei rundlich-spitzen Versuchswagen der Reihe V4 von 1938 konnten den Einfluss der Dresdner Hechtwagen kaum verleugnen.

Hamburg war mit den späteren Serien-Baureihen V6 / V7 der Düwag um mindestens zwei Jahre voraus, denn der erste Probezug rollte schon 1949 auf die Hamburger Straßenbahnstrecken. Man hatte sich beim Konzept wohl an den Schweizer Einheitswagen der 40er Jahre orientiert; auch die Wagenkästen waren nun kantig ausgeführt. Die Vierachser ab Baujahr 1937 (Reihe V3) führten die “typische” rot-weiße Lackierung in Hamburg ein, die nach dem Krieg auch auf ältere Zweiachser überging.

Obwohl bis zur Mitte des folgenden Jahrzehnts die Zukunft der Straßenbahn noch positiv aussah, wurden die V7 nicht mehr zu Gelenkwagen weiter entwickelt. Eine Serie von Vierachsern mit schwebenden Mittelteilen kam noch zustande, bewährte sich im täglichen Einsatz jedoch nicht.

Obwohl es die Verkehrsbetriebe den Fans damals nicht leicht gemacht haben, konnte erfreulicherweise eine Anzahl Hamburger Straßenbahnwagen museal erhalten werden. Am Schönberger Strand und im dänischen Straßenbahnmuseum lassen sie sich sogar in Bewegung beobachten.

-gk- / Foto: Sammlung -gk