KW 32/2018 – Los Angeles: Die passende Tram zur Hitzewelle

Guido KorffBild der Woche

Los Angeles gilt vielen Menschen als die „autogerechte Stadt“ schlechthin. Endlose Boulevards und niedrige Bebauung mit geringer Bewohnerdichte sprechen eigentlich gegen die Bedienung mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Und doch wurde genau dieses Stadtgebilde jahrzehntelang von der „Pacific Electric Electric Railway“, einer der größten Interurbans der USA / Welt (Netzgröße ca. 1.600 km Normalspur) erschlossen. Im Stadtzentrum verkehrte zusätzlich auch noch die „Los Angeles Railway“ auf 1.067 mm Spurweite und 20 Linien. Beide Bahngesellschaften stellten ihren Schienenbetrieb aber schon Anfang der 60er Jahre ein (1961 bzw. 1963).

Die Pacific Electric bediente auf mehreren Strecken auch die Badestrände im Westen der Stadt. Aus Großbritannien hatte man die Idee mitgebracht, große Piers in das flache Meer zu treiben und mit vielen Unterhaltungseinrichtungen auszustatten, seien es Restaurants, Tanzlokale oder Karussells und Fahrgeschäfte. Sondertarife für die Ausflügler sorgten für regen Publikumsverkehr, der sowohl der Interurban als auch den örtlichen Gastronomen zugute kam.

Die Investoren der Piers lieferten sich zwar erbitterte Kämpfe um die Kunden, konnten letztendlich aber nicht verhindern, dass weitere Attraktionen in Strandnähe entstanden und die Uferpromenade zwischen den Piers von Venice und Santa Monica – ca. 5 km lang – damit im Laufe der Jahre immer dichter besetzt wurde.

Aus amerikanischen Fernsehserien kennt man die Szenen, wenn Jogger oder Inliner auf diesem Weg unterwegs sind. Vor hundert Jahren erlaubten lange Kleider und enge Röcke diese rasche Art der Fortbewegung noch nicht. Da die US-Amerikaner aber immer schon offen für Innovationen waren, nahm 1916 das hier abgebildete Verkehrsmittel seinen Service auf.

Die Beschriftung der Ansichtskarte spricht eindeutig von einer „Electric Tram“, obwohl weder Gleise noch Stromzuführung zu erkennen sind. Die US-Amerikaner nehmen es mit dem Begriff „Tram“ aber nicht so genau und bezeichnen damit auch häufig nicht an Schienen gebundene Vehikel. Die Fahreigenschaften könnten aber trotzdem akzeptabel ausgefallen sein, denn die Rollbahnen waren damals schon durchgehend betoniert. Bei den Besuchern hieß die Promenade deshalb auch „Cement Way“.

„Elektrisch“ sind die fahrenden Sofas jedoch auf jeden Fall, denn unter den Sitzflächen aus Korbgeflecht verbergen sich Batterien. Gesteuert wurde das hier abgebildete Gefährt über nur zwei Schalthebel an einem Ende des Fahrzeugs (hier ist links gerade noch das obere Ende von einem Hebel zu erkennen); einer davon betätigte die mechanische Bremse, der andere müsste dann die Richtung vorgeben haben (wie bei den frühen Elektrokarren). Auf anderen Fotos erkennt man auch „Zweirichtungswagen“ mit Hebeln an beiden Enden und sogar eine Version mit Lenkrad. Wie man hier auch sieht, zeigen sich alle Fahrgäste „wohlbehütet“; zum Schutz gegen die Sonne gab es aber auch noch aufsteckbare Dächer.

Die Wagenführer waren adrett uniformiert und kassierten das Fahrgeld mit umgehängten Wechslern, auch Damen kamen schon zum Einsatz. Seinerzeit wurden sie etwas schräg als „Motormanette(s)“ bezeichnet, aber waren eine Attraktion für sich.

Zu Beginn der 30er Jahre übernahm auch hier der Benzinmotor das Regiment. Die kleinen Fahrzeuge sollen dann noch bis etwa 1970 auf der Promenade unterwegs gewesen sein. In dem Jahr wurde der Pier in Santa Monica für einen längeren Umbau geschlossen und einem Brand in der geschlossenen Anlage dürfte auch die kleine „Tram“ zum Opfer gefallen sein.

Seit 1990 hat Los Angeles wieder städtischen Nahverkehr auf Schienen, der heute zwei U-Bahn-Linien und vier Stadtbahnlinien befährt. Die U-Bahnen haben sich angesichts der lockeren Bebauung als überdimensioniert herausgestellt (tja!), während die Stadtbahnen genau zu passen scheinen. Deren Netz wird daher auch weiter ausgebaut.

Die jüngste Stadtbahnlinie, die „Expo Line“, erreicht seit 2016 auch wieder die Ortsmitte von Santa Monica. Wenn es unser kleines Bähnchen noch gäbe, könnte man von hier aus nach wenigen Schritten die Promenade entlangfahren – im umweltbewussten Kalifornien sicher auch wieder mit Batterieantrieb!

-gk- / Foto: Sammlung -gk