KW 25/2018 – Nizza: Die Tram der “besseren Gesellschaft”

Guido KorffBild der Woche

Nizza gehört zu den französischen Städten, die ihre Straßenbahn viele Jahre nach der ersten Stilllegung wieder eingeführt haben. Trotz nur ca. 340 Tsd. Einwohnern ist Nizza (frz. Nice) die fünftgrößte Stadt des Landes; der Ballungsraum zählt ca. 930 Tsd. Einwohner.

Als 1878 die Pferdebahn ihren Betrieb aufnahm, durfte sie auch viele vermögende Briten zu ihren Fahrgästen zählen, die den Badeort als ideale Sommerfrische entdeckt hatten. Die Linie von Nizza nach Cimiez brachte dann 1895 den elektrischen Betrieb an die Cote d’Azur, allerdings noch eher versuchsweise mit Akkumulatoren und auf nur 60 cm Spurweite. In einer großen Kraftanstrengung wurde schließlich 1897 die „Compagnie des Tramways de Nice et du Littoral“ (TNL) gegründet, die das Stadtgebiet erschließen, aber auch die benachbarten Küstenorte einbinden sollte.

Auf den innerstädtischen Strecken sorgten teilweise unterirdische Kanäle für die Stromzufuhr, weil man schon damals den Anblick der repräsentativen Architektur nicht durch eine Fahrleitung beeinträchtigen wollte – eine Ansicht, der sich auch die moderne Bahn der zweiten Generation beugen musste. Die Wagen haben Batterien an Bord, um die beiden wichtigsten Plätze der Stadt „drahtlos“ überqueren zu können. Zugleich konnte man sich eine höhergelegte Fahrleitung ersparen, da hier auch die Wagen der Karnevalszüge die Strecke kreuzen.

Im Vorortbahnbereich gab es einige Wettbewerber, die es zu übernehmen galt. Darunter befand sich auch die „Compagnie des Tramways de Monaco“, die das ehemalige Piratennest für Touristen attraktiver machen sollte. Von Beausoleil oberhalb von Monte Carlo gab es übrigens zwischen 1983 und 1932 auch eine Zahnradbahn nach La Turbie, die nach dem System Riggenbach die 500 m Höhenunterschied überwand. Einige Jahre lang teilte sich diese Bahn ihre Gleise dann noch mit einer kurzen Hotelstraßenbahn!

Zwischen Nizza und Monaco verlief damals schon ein Abschnitt der bekannten Küstenstraße „Corniche“, wobei im Namen auch das „Gesims“ mitschwingt. Damit sind überhängende Felsen gemeint, wie wir sie auch auf unserem Foto erkennen können. Der sichtbare Triebwagen (vermutlich (Um-)Baujahr 1912) hat gerade auf etwa halber Strecke nach Monaco das Städtchen Eze-sur-Mer passiert. Die Szene mit dem massigen Cap Roux wurde auf zahlreichen Postkarten verewigt, eine Fahrt auf dieser Strecke galt als „Muss“ jeder Mittelmeerreise.

Die Linie wurde 1900 eröffnet und im Jahre 1908 der Nachbarbetrieb in Monaco übernommen. Die TNL knüpfte ein umfangreiches Gesamtnetz, das sich 1930 auf 144 km erstreckte. Auf diesen Gleisen rollten im gleichen Jahr 183 Trieb- und 96 Beiwagen. Die Spurweite betrug übrigens 1440 mm. Auf einigen Abschnitten bestand auch Güterverkehr, so beispielsweise vom Endbahnhof der Schmalspurbahn nach Digne ausgehend, der drei Blocks von der SNCF-Station entfernt liegt. Zahlreiche E-Loks bewegten zeitweise über 400.000 Tonnen Ladung im Jahr!

Die Küstenstrecken verschwanden schon zwischen 1929 und 1934, unsere Linie 24 verkehrte letzmalig am 26. Januar 1931. Sie machte dem wachsenden Automobilverkehr Platz; Cabriolets und offene Reisebusse wirkten auf das Publikum damals reizvoller als die alten Straßenbahnen, die fast alle noch aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stammten. Der Popularität der Straße tat die Umstellung also keinen Abbruch: Nicht umsonst heißt ein Cabriolet-Modell der Luxusmarke Rolls Royce aus dem Jahre 1971 „Corniche“ – womit sich auch der Kreis zu den britischen Badegästen der Belle Epoque wieder schließt.

Auch die Innenstadt wurde Zug um Zug „freigeräumt“, bis 1953 die letzte Tram in der Region verkehrte. Wie in anderen Städten gab es ein Intermezzo mit einem Obus-Betrieb, das von 1942 bis 1970 dauerte.

Die schienenfreie Periode endete zwar erst 2007, dafür übertraf die neue Linie 1 aus dem Stand die Erwartungen. Schon bald soll sie Zuwachs durch mehrere Neubaustrecken erhalten, zu denen Alstom dann auch ein neues Verfahren der Energiezuführung beisteuert. Die Batterien werden an den Haltestellen innerhalb von 20 Sekunden induktiv aufgeladen.

Und wo es keine unterirdischen Stromschienen mehr gibt, geht gleich die ganze Bahn unter die Erde: drei Kilometer Tunnel unter derm Statdzentrum gehören auch zum Bauprogramm.

-gk- / Foto: Sammlung -gk