KW 31/2018 – Stuttgart: Tagblatt-Turm und Tram – Kennzeichen einer modernen Stadt

Guido KorffBild der Woche

Man sagt den Schwaben ja eine gewisse Gemütlichkeit und „Provinzialität“ nach. Vermutlich sind dafür die Sprache, aber sicher auch so traditionelle Phänomene wie die „Kehrwoche“ verantwortlich. Am Denkvermögen mangelt es den Schwaben jedoch nicht – so sind doch rund um Stuttgart eine Reihe bedeutender Erfindungen entstanden und die dortige mittelständische Industrie gehört nach wie vor zu den Konjunkturmotoren unserer Wirtschaft.

Auch mit ihrer Stadtentwicklung im weitesten Sinne fällt die Schwabenmetropole immer wieder positiv auf – mal abgesehen vom Projekt „Stuttgart 21“ – aber das ist ja auch woanders erdacht worden. Die „Stuttgarter Straßenbahnen SSB“ haben es dagegen vollbracht, ihren meterspurigen Straßenbahnbetrieb nicht nur weitgehend vollständig auf eine normalspurige Stadtbahn umzurüsten, sondern damit auch noch einen der höchsten Kostendeckungsgrade deutscher Verkehrsbetriebe (2016: 94,1 %) zu erwirtschaften. Selbst die Tradition kommt dabei nicht zu kurz – immerhin haben die Stuttgarter ihre Zahnradbahn noch!

An dieser Stelle sei aber die aktuelle Anmerkung erlaubt, dass selbst bei diesem leistungsfähigen Verkehrsnetz noch „Luft nach oben“ bleibt: die Nutzung der Bahnen und Busse in dem feinstaubgeplagten Talkessel könnte und müsste durchaus noch intensiver sein! Die Fahrtenzahl pro Einwohner ist zwar überdurchschnittlich, aber vom Freiburger Niveau noch weit entfernt – wobei man aber auch bedenken muss, dass die halbe Stadt vom Automobilbau lebt!

Die Höhepunkte des Stuttgarter Stadtbilds werden außerhalb der Stadt zumeist unter Wert verkauft. Deshalb seien hier beispielhaft die Weißenhofsiedlung am Killesberg (1927, „Neues Bauen“) – direkt neben dem Höhenpark mit seiner dampfenden Parkeisenbahn! – und die Neue Staatsgalerie (1974, Postmoderne) genannt. Zuletzt setzten Daimler und Porsche mit ihren Werksmuseen ebenfalls deutliche Akzente.

In die Zeit der Weißenhofsiedlung fällt auch der hier sichtbare Tagblatt-Turm, dessen Name seine Nutzung als Sitz einer Zeitungsredaktion (bis 1978) verrät. Er entstand 1927/28 ebenfalls im Stil des „Neuen Bauens“ und als erstes deutsches Hochhaus in Sichtbetonbauweise. Das galt seinerzeit als sehr gewagt, während sich die ersten Hochhäuser anderswo durch traditionelle Fassadenverkleidungen bei ihren kleineren Nachbarn anbiederten.

Der Tagblatt-Turm ragt mit seinen 61 m Höhe auch heute noch recht markant aus seiner Umgebung hervor, weil sich Stuttgart mit dem Bau von Hochhäusern deutlich zurückgehalten hat. Das Gebäude steht an der Eberhardstraße, etwas östlich vom oberen Ende der Fußgängerzone.

Das Foto mit der Straßenbahn kann man seit 1969 nicht mehr in dieser Form machen, da die Strecke dem U-Bahn-Bau weichen musste. Seit Oktober 1971 verkehrte sie dann wieder – jetzt unterirdisch – als Verbindung zwischen den Haltestellen „Rathaus“ und „Österreichischer Platz“ (sog. „Tallängslinie“) über das Gleisdreieck an der Torstraße zum Rotebühlplatz. Die zwischenzeitliche Rampe „Wilhelmsbau“ lag aber schon ca. 200 m westlich vom Tagblatt-Turm.

Beiwagen 829 hatte dem Tagblatt-Turm zwei Lebensjahre voraus: Er wurde 1926 beim Hauslieferanten, der Maschinenfabrik Esslingen, gebaut. Die schlichte Karosserieform und das glatte Tonnendach passen gut zum Stil des Hochhauses. Bw 829 und sehr viele seiner Artgenossen in der Serie 801 – 872 (insgesamt 58 Wagen) fielen dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer. Nach dem Krieg standen Bemühungen zum Erhalt historischer Wagen ebenfalls unter keinem Stern; mehrfach scheiterten Straßenbahnfreunde daran, die ihnen zugesagten Fahrzeuge angemessen unterzubringen. So gibt es heute keinen einsatzfähigen Stuttgarter Beiwagen aus den Vorkriegsjahren mehr; das einzige gerettete Exemplar fand über Kärnten und Hannover in seine Heimat zurück und befindet sich in schlechtem, nicht betriebsfähigem Zustand.

Da können wir uns freuen, dass sich historische Trams und Tagblatt-Turm auch heute noch wenigstens beinahe begegnen könnten, denn die dreischienige Oldtimer-Ringline 21 führt im Tunnel vor dem Hochhaus vorbei. Der Konjunktiv ist aber leider berechtigt, denn die Rundfahrt ist noch für einige Jahre wegen des Neubaus der Station „Staatsgalerie“ unterbrochen. Verantwortlich dafür ist „Stuttgart 21“ – womit sich der Kreis wieder schließt!
-gk- / Foto: Sammlung -gk