KW 22/2018 – Zeebrugge: Ein lauer Sommerabend an der Küste

Guido KorffBild der Woche

Seeluft macht müde – so lässig wie unsere „Helden“ hier auf der Plattformbrüstung lehnen, scheint es sich um ihre abendliche Heimfahrt zu handeln! Die Szene strahlt eine gemütliche Atmosphäre aus, die man angesichts des heutigen Seehafens an dieser Stelle kaum noch nachvollziehen kann.

Zeebrugge als „Filiale“ der weiter landeinwärts gelegenen Stadt Brügge verfügte zwar auch schon damals über einen Hafen an der Mündung des Flüsschens Reie, aber die Hafenbecken lagen landeinwärts hinter der Küstenlinie. Die Einfahrt wurde durch eine etwa 1000m lange Mole geschützt, an deren Außenseite dadurch eine große Badebucht entstanden war, die offensichtlich viele „Wasserratten“ anzog.

Heute sieht es hier ganz anders aus. In den 70er Jahren wurde der Hafen massiv ausgebaut und ins Meer hinein vergrößert. Bei uns ist er seitdem als Fährhafen nach England bekannt, dient aber auch in großem Umfang dem Frachtverkehr. Container-Gebirge und Lagerhäuser lassen kein rechtes Urlaubs-Feeling mehr aufkommen.

Die Küstenlinie der SNCV – oder hier geografisch passender: NMVB (Nationale Maatschappij van Buurtspoorwegen) – erfreute sich schon immer großer Beliebtheit bei den Badegästen. Die „Kusttram“ rauscht heute am Hafen Zeebrugge aber auf einer vierspurig ausgebauten Straße in wenigen Momenten vorbei.

Bemerkenswert sind allerdings die Streckenführungen an den beiden Seeschleusen: Wenn eine der Klappbrücken über die Zufahrten zu den landeinwärts gelegenen Hafenbecken geöffnet werden muss, kann die Tram das Hindernis auf einer kurzen Schleifenstrecke umfahren und den Zufahrtskanal auf einer anderen Brücke überqueren (eine ähnliche Konstellation gibt es auch noch in Oostende).

1885 eröffnet, rühmt sich die 67km lange Bahnlinie heute, die längste Straßenbahnlinie der Welt zu sein. Sie endet immer noch an beiden Seiten jeweils im letzten Ort vor der Landesgrenze, die frühere Durchbindung in die Niederlande besteht aber schon lange (bis 1939) nicht mehr. Zur SNCV gehört die Bahn nicht mehr; das Unternehmen hat sich aufgeteilt / regionalisiert. Seit 1991 weisen sich die Trams als Fahrzeuge der Gesellschaft „De Lijn“ aus, die auch die Straßenbahnen in Antwerpen und Gent betreibt. Dadurch kommen im Sommer auch immer wieder Gastfahrzeuge aus den beiden genannten Städten zur Sommerfrische ans Meer.

Der hier sichtbare Beiwagen 11577 bildet das Schlusslicht eines Dreiwagenzugs; die aufgesteckte rote Laterne ist nicht zu übersehen. Er stammt noch aus den Jahren vor dem ersten Weltkrieg. Die Serie von 30 Fahrzeugen zeichnete sich durch eine Breite von 2,40m aus, die der größere Gleisabstand auf der Küstenstrecke schon damals zuließ. Ursprünglich waren sie für kombinierte Abteile der 2. und 3 Klasse eingerichtet. Markant ist das Dach über den Plattformen, das wie eine Schirmmütze heruntergezogen erscheint.

Die – durchweg männlichen – Fahrgäste auf der hinteren Plattform rauchen in Ruhe ihr Pfeifchen oder eine Zigarette im Freien. Sie zeigen sich völlig unbeeindruckt von den anderen Fahrgästen, die ihren Platz in der Bahn noch suchen. Welch’ eine Idylle!
-gk- / Foto: Sammlung -gk