KW20/2022 – Wuppertal: Manche Wunden heilen nur langsam

Guido KorffBild der Woche

Unser Foto zeigt das sog. “Loher Kreuz” im Zustand des Jahres 1954. Zunächst scheint es ein eher unspektakuläres Bild zu sein – und doch steht es für das ganze Dilemma des Wiederaufbaus in Wuppertal.

Den beiden zum Ende der 1920er Jahre vereinigten Städten Barmen und Elberfeld mangelte es schon lange an einer leistungsfähigen Straßenverbindung entlang der Talsohle. Erkennbar ist dies u. a. an den kurvenreichen Streckenführungen der Straßenbahnen durch getrennte Straßenzüge in den beiden Innenstädten. In den 30er Jahren wurden dann endlich Pläne für eine neue, breite “Allee” zwischen dem Tannenbergkreuz im Westen und der geplanten Anschlusstelle an die Reichsautobahn in Langerfeld im Osten gemacht und schon zahlreiche notwendige Grundstücke erworben. Der beginnende Krieg verhinderte aber die praktische Umsetzung.

Nach Kriegsende konnte zwar zügig mit dem Bau begonnen werden, jedoch bremsten jetzt die mangelnden Budgets das Umsetzungstempo. Um schnell gut sichtbare Ergebnisse zu erzielen, kamen die beiden Innenstädte zuerst an die Reihe. Die Verbindung zur Autobahn und der Lückenschluss zwischen den beiden Stadtzentren in Unterbarmen sollten später folgen.

Auf unserem Foto fällt zunächst die Bebauung auf. Kleine Läden in Barackengestalt prägten vielfach das Straßenbild im Wuppertal der Wiederaufbauzeit. Besonders markant war das Ensemble in Oberbarmen mit Schwebebahn, Straßenbahn, Diesel- und Obus. Hier aber zeigt sich jetzt das Dilemma: Die Baracken folgen der alten Straßenflucht, sie werden also der Verbreiterung des Verkehrswegs wieder weichen müssen – früher oder später, aber wann genau? An vielen Stellen der Stadt waren solche Provisorien noch sehr lange zu besichtigen!

Bemerkenswert ist diese Betrachtung deshalb, weil von Barmen her die moderne Trassierung genau hier endet, die Fortsetzung nach Elberfeld scheiterte an Bürgerprotesten und rettete ein Stück der historischen Verbindung zwischen Barmen und Elberfeld aus napoleonischer Zeit. So schön die erhaltenen Häuser auch sind, der Abschnitt zwischen Loher Kreuz und Haspel blieb jedoch immer ein Nadelöhr für den Verkehr!

Entgegen der gebräuchlichen Bezeichnung verfügte die Straßenbahn am Loher “Kreuz” nur über ein Dreieck, in dem die Strecke der Barmer Straßenbahn zum Krankenhaus aus den Gleisen der ehemals Barmen-Elberfelder Straßenbahn ausfädelte. Wir sehen rechts zwei Straßenbahnen der damals neuesten Baureihen – genauer: einen Dreiachser und einen Vierachser. Die ersten Düwag-Vierachser (1005-1020) kamen 1953/54 nach Wuppertal. Die Dreiachser von Westwaggon (1001-1004) stammen aus dem Jahr 1954, ab Ende 1958 rollten die ersten in Achtachser umgebauten Düwag-Wagen durchs Tal. Die linke Tram trägt die Liniennummer 11, denn das moderne Wagenmaterial wurde bevorzugt auf der besonders stark frequentierten Talsohle eingesetzt. Nach links zweigt die Linie zum Krankenhaus ab, die erst viel später Nachkriegswagen im Einsatz sah. Dieser Abschnitt war am 6. August 1914 in Betrieb gegangen und man verlängerte die Linie 2 (von Hiddinghausen kommend) dorthin. Der Abzweig im Bild Richtung Elberfeld existierte noch bis 1970 (!), als man auf der Talsohle dort einen veränderten eigenen Gleiskörper im Zuge der endlich “angekommenen” Verbreiterung anlegte.

Zurück zu weiteren Bildinformationen. Ein Ford, ein Opel und vor allem drei Volkswagen “Käfer” bevölkern die Straße und zeigen zugleich, mit welchen Fahrzeugtypen die kommende “Massenmotorisierung” Fahrt aufnehmen sollte. Das originale Käfer-Cabrio in der Bildmitte erinnert uns an den Wuppertaler Karosseriebauer Hebmüller. Das alteingesessene Unternehmen hatte ein eigenes, formschönes Cabrio-Modell auf Käferbasis entwickelt und VW bestellte 2.000 Stück. Ein neues Werk in Wülfrath nahm die Produktion dafür auf. Doch ein Großbrand im Jahre 1949 führte letztlich zur Insolvenz – lediglich 696 Hebmüller-Cabrios wurden gefertigt – heute sehr gesuchte Oldtimer!

Die Bebauung am Loher Kreuz hat sich bis heute völlig gewandelt. Moderne Bauten haben schon längst die Buden abgelöst. An zwei Besonderheiten sei erinnert. Links steht heute ein großes Geschäftshaus mit der Praxis von Zahnarzt Dr. Dirk Specht. Daneben hat ein sich ebenerdig großzügig ein Fitnessstudio eingerichtet. Hier war jedoch zunächst ab 1956 im gleichen Gebäude das Kino „Casino Barmen“ mit 652 Plätzen ansässig. Und einige Häuser weiter westlich – schon im Zuge des verbliebenen, engeren Abschnitts der Allee konten die Unterbarmer die „Grünsiegel-Passage“ bestaunen. Weit in den rückwärtigen Raum der Allee konnte man so – durch ein großes Glasdach geschützt – an zwölf verschiedenen Läden links und rechts vorbei flanieren, in eine große Gaststätte mit Kegelbahnen einkehren oder aber ins „Bali-Barmen“ gehen, um sich dort auf einem der 500 Kinosessel alte und neue Filme samt Wochenschau anzuschauen. Es ist nicht nur Nostalgie, an diese Einrichtungen zu erinnern. All diese Angebote waren gut mit der Straßenbahn zu erreichen und sorgten für ein hohes Fahrgastaufkommen!

Michael Malicke / Foto: Klaus Sieper (Sammlung BMB)

KW19/2022 – Solingen: Tausendundeine Nacht im Bergischen Land

Guido KorffBild der Woche

Vor über zehn Jahren – im Juni 2011, zum Zeitpunkt der Aufnahme – müssen wohl viele Solinger geglaubt haben, dass sie eine Fata Morgana sehen, als ihnen dieses Fahrzeug begegnete. Vor dem ehemaligen Rathaus des Solinger Stadtteils Gräfrath ergibt sich daraus ein reizvoller Kontrast. Aber der futuristisch anmutende Obus davor ist echt und tatsächlich auch dort gefahren. Heute wissen wir allerdings, dass er nicht der erste Wagen einer neuen Obus-Flotte für Solingen werden sollte.

Nun, die Aufklärung ist einfach: Dazu muss man wissen, dass im Süden der benachbarten Landeshauptstadt Düsseldorf, im Stadtteil Hassels, die altbekannte Firma Kiepe Electric ihren Stammsitz hat, die elektrische Ausrüstungen u. a. für Obusse entwickelt und fertigt. Und da die Stadtwerke Solingen nicht nur seit Jahrzehnten ein guter Kunde von Kiepe Electric sind, sondern auch das größte Obus-Netz Deutschlands betreiben, kommt es immer wieder vor, dass Kiepe Electric Obusse, die für andere Städte gebaut wurden, im Solinger Netz ausgiebig testet, bevor sie an die jeweiligen Kunden ausgeliefert werden.

So fuhren durch Solingen bereits Trolleybusse für Gent und Athen, lange bevor sie in den jeweiligen Städten zum Einsatz kamen. Ähnlich war es auch in diesem Fall: Bei dem Gelenkobus auf dem Foto handelt es sich um den ersten von zwölf Wagen, die die Firma Viseon im bayrischen Pilsting zusammen mit Vossloh Kiepe (so firmierte Kiepe Electric damals) für den Einsatz an der saudi-arabischen König-Saud-Universität in Riad, Saudi-Arabien, gebaut hat.

Riad zählt als Hauptstadt Saudi-Arabiens 4,6 Millionen Einwohner. Die Urbanisierung im Königreich Saudi-Arabien schreitet seit Jahrzehnten unaufhaltsam voran: Durch den märchenhaften Ölreichtum hat sich das ganze Land so tiefgreifend verändert wie kaum ein anderes, wobei allerdings die Menschenrechte, insbesondere die Rechte der Frauen, leider immer noch stark eingeschränkt sind.

Bis in die 1960er Jahre lebten die Saudis überwiegend als Beduinen, heute sind mehr als 80 Prozent der „Wüstensöhne“ sesshaft. In den 1970er Jahren haben sie innerhalb von einer Generation ihre Beduinenzelte abgebrochen und sind in oft futuristisch wirkende, neue Städte gezogen. Dort dominieren westliche Technologien das Leben und ließen u. a. Riad sowie die Handelsmetropole Dschidda in kürzester Zeit um ein Vielfaches wachsen.

Der Campus der 1957 gegründeten und damit ältesten Universität des Landes – der König-Saud-Universität – erstreckt sich über eine Fläche von zwölf Quadratkilometern, auf der das Obus-Verkehrssystem entstanden ist, für das der gezeigte Wagen bestimmt war.

Auf der Arabischen Halbinsel herrscht trockenheißes Klima. Im Sommer gehen die Temperaturen tagsüber bis auf 50 Grad Celsius hoch, im Winter kann nachts der Gefrierpunkt unterschritten werden. Deshalb ist eine besonders leistungsstarke Klimatechnik gefragt. Der hohe Energiebedarf der Klimaanlagen und die anspruchsvolle Kühlung der Elektronik auf dem Dach der Fahrzeuge erforderten eine Überarbeitung des Systemdesigns sowie eine Anpassung der Technik an die Gegebenheiten.

Das kurvenreiche Design des Wagens passt gut zum Gräfrather Rathaus, das den “Bergischen Farbendreiklang” mit dem Jugendstil verbindet. “Florale”, rundliche Formen gehörten zu den prägenden Stilelementen des Jugendstils und sind hier vielfältig eingesetzt. Entworfen wurde das Gebäude von dem Architekten Arno Eugen Fritsche und 1907/08 gebaut. Heute beherbergt es das Kunstmuseum Solingen.

Als der Gelenkbus im Juni 2011 durch Solingen fuhr, wurde in den Bürgern sicher manche Erwartung geweckt – aber der schicke Obus sollte wie eine eine Fata Morgana nur eine flüchtige Erscheinung bleiben.

Carsten Kossow / Foto: Marcus Frey
(Das Foto ist auch als Ansichtskarte in unserer Bücherstraßenbahn erhältlich – solange der Vorrat reicht!)

KW18/2022 – Hohe Tatra: Ein Reisetipp – Besucht doch mal die Schwester!

Guido KorffBild der Woche

Unsere Hagener E-Lok war ja nicht allein in der Schweiz. Sie befand sich vielmehr in Gesellschaft ihrer Schwesterlok 3, die ihr zehn Jahre später (1965) in den Süden gefolgt war. Weil die Schweizer ein Herz für rüstige Oldies auf Schienen haben – man denke nur an die vielen Triebwagen, die gebraucht bei Stern & Hafferl noch viele Jahre im Einsatz standen – hat auch Lok 3 überlebt und in der Slowakei eine neue Heimat gefunden. Dort befindet sie sich in bester Gesellschaft, wie wir hier sehen können.

Die Elektrische Tatrabahn (slowakisch: Tatranská elektrická železnica – TEŽ) erschließt einige Wintersportorte am Südhang der “Hohen Tatra”, dem höchsten Teil der Karpaten. Als die Bahn 1908 zur Förderung des Tourismus in der Region eröffnet wurde, gehörte die Hohe Tatra noch zum ungarischen Teil der Habsburger-Monarchie. Für die Wintersportfreunde in Wien lag die Hohe Tatra damals näher als Tirol!

Der österreichisch-ungarische Ursprung ist der hier abgebildeten historischen Garnitur deutlich anzusehen. Triebwagen 22 aus der Anfangszeit wurde von der Waggonfabrik Ganz in Budapest geliefert. Die Garnitur zeigt sich heute perfekt restauriert! In den sechziger Jahren übernahmen moderne straßenbahnähnliche Achtachser von Tatra Vagonka den Verkehr, weil die Nordischen Ski-Weltmeisterschaften vor der Tür standen. Einer dieser Züge wurde in den letzten Jahren ebenfalls museal aufgearbeitet. Seit 2000 verkehren im Regelverkehr nur noch Niederflurtriebwagen nach dem Muster des Stadler GTW 2/6. Sie waren Teil der Bewerbung um die Olympischen Winterspiele 2006, die jedoch an Turin vergeben wurden.

Die Strecke führt von Poprad Tatry an der Eisenbahn-Hauptstrecke von Bratislava nach Kosice zunächst bergwärts nach Starý Smokovec. Dort verzweigt die Linie in beiden Richtungen entlang des Berghangs nach Tatranská Lomnica und Štrbské Pleso. Beide Endpunkte sind ihrerseits wieder auf der Schiene mit der genannten Hauptbahn verknüpft, die erstgenannte Endstation über eine Staatsbahnstrecke, die andere über eine Zahnradbahn.

Die Zahnradbahn wurde ebenfalls in Vorbereitung der Nordischen Ski-Weltmeisterschaften 1970 mit Schweizer Technik errichtet. Sie folgt der Trasse einer Vorgängerbahn, die in den 30er Jahren stillgelegt worden war. Auch hier hat es mittlerweile einen Generationenwechsel gegeben; die fünf neuen Triebwagenzüge von Stadler können künftig in Štrbské Pleso sogar auf die Adhäsionsstrecke übergehen.

Es gibt also einiges zu entdecken in der Hohen Tatra – wenn Sie mal hinfahren, grüßen Sie bitte E-Lok 3 von uns!

-gk- / Foto: -gk-

KW17/2022 – Zeitz: Ich sehe was, was Du nicht siehst…

Guido KorffBild der Woche

Er schaut erwartungsvoll in die Richtung der Kamera seines Vaters, der kleine blonde Steppke, der mittlerweile schon über 50 Jahre Mitglied unseres Vereins ist: Michael Malicke auf Besuch bei den Großeltern in Zeitz.

Der kleine Michael bemerkt garnicht, was sein technikinteressierter Vater in dem Schnappschuss sonst noch eingefangen hat. Es ist ein Doppelstock-Omnibus DO 56 aus Bautzener Produktion. Gebaut in den Jahren 1957-59 mit über 100 Exemplaren für Berlin, fanden nur wenige Wagen den Weg in die größeren Provinzstädte. Der Stadtverkehr von Zeitz dürfte eine solche Kapazität eher nicht benötigt haben. Also ein echter Glückstreffer!

Der Bus befährt den “Wendischen Berg” in Zeitz. Doch wo sitzen die gutgelauten Damen mit dem kleinen Michael? Auch sie befahren den “Wendischen Berg” – auf Deutschlands erster öffentlicher Standseilbahn. Technikgeschichte wird also durchaus auch mal in der Provinz geschrieben!

Die Stadt Zeitz liegt im Länderdreieck von Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Bereits 1859 fand die Eröffnung der Bahnlinie Weißenfels – Zeitz – Gera statt. Weitere folgten. In der Nachbarschaft gab es ergiebige Braunkohlevorkommen sowie eine umfangreiche Industrie mit Eisengießerei, Maschinenbau, Herstellung von Kinderwagen und Klavieren sowie später auch Chemie.

1877 wies die Statistik bereits 17.000 Einwohner aus. Prägnant bis heute ist die Teilung der Stadt in die Unterstadt mit der Bahnlinie und dem Fluss Weiße Elster, sowie die Oberstadt mit Zentrum und Schloss.

Die Verbindung zwischen beiden Stadtteilen vermittelt der “Wendische Berg”, der damals mit Vorspannpferden, die an seinem unteren Ende beim Gasthof „Zur Sonne“ untergestellt waren, für die Gütertransporte bezwungen wurde. Im Winter bei Eis und Schnee war die Steigung von max. 125 Promille aber kaum zu überwinden.

Bereits 1862 und 1872 waren in Lyon (Frankreich) die ersten beiden Standseilbahnen der Welt errichtet worden. Eduard Tretrop, ein deutscher Bahnexperte, der zuvor schon maßgeblich beim Bau der Bahnstrecken in der Region beteiligt war, entwarf die erste deutsche Standseilbahn für den öffentlichen Verkehr: die Zeitzer Drahtseil-Eisenbahn!

Die technischen Daten der Zeitzer Drahtseil-Eisenbahn

Streckenlänge: 305 m
Höhenunterschied: 46 m
Neigung maximal: 12,5 %
Spurweite: 1435 mm
Die Zwillingsdampfmaschine lieferte die Zeitzer Eisengießerei und Maschinenfabrik AG. Das 20mm starke Eisendrahtseil stammte ebenfalls aus heimischer Produktion

Aufgrund der mangelnden Breite war eine zweigleisige Anlage nicht möglich, aber die Abt’sche Weiche noch nicht erfunden. Die Lösung war zwar eine zweigleisige Strecke, wobei jedoch oberhalb und unterhalb der Streckenmitte ein platzsparendes Vierschienengleis verlegt wurde. Die gesamte Anlage mit 305 m Länge lag bergauf gesehen links neben der Straße und beschrieb eine weite Linkskurve. Dabei wurden 46 m Höhenunterschied überwunden.

Die heute üblichen Seilführungsrollen existierten damals auch noch nicht. Tretrop baute deshalb entlang der gesamten Strecke waagrechte Walzen zum Stützen des Seils und zusätzlich im Gleisbogen senkrechte zu seiner seitlichen Ablenkung. Die Antriebsmaschine befand sich in der Bergstation.

Am 5. August 1877 – ein sonniger Sonntag – fand die Eröffnung statt. Tausende Menschen drängelnden sich entlang der Bahn. Man nannte sie das „achte Weltwunder“ und Spötter sprachen von der „längsten Bahn der Welt“. Sie fahre vom Wendischen Berg (Bergstation) bis zur Sonne (Talstation mit gleichnamigem Wirtshaus) in nur drei Minuten!

Die beiden Schienenfahrzeuge waren einfachste zweiachsige Flachwagen ohne Neigungsausgleich. An den Endstationen war das Gleis etwas versenkt verlegt, so dass die Plattformwagen von der Kopfseite her befahren werden konnten. Am seitlichen Geländer befanden sich klappbare Sitzbänke für die Fahrgäste. Dies entsprach der Hauptaufgabe, vorrangig Pferdefuhrwerke und Handkarren zu befördern. Wir sehen die Wagen hier zwar jetzt nicht, aber wir verpassen damit auch nicht viel…

In der Anfangszeit gab es gleich mehrere Unfälle. Der letzte nennenswerte bestand aus der Explosion des Dampfkessels am 7. Februar 1889.

Danach verlief der Alltag der Zeitzer Drahtseil-Eisenbahn so zuverlässig wie eine Taschenuhr aus Glashütter Produktion. Für das Jahr 1912 wies die Statistik die höchsten Betriebsleistungen aus: Bei 34.367 Fahrten wurden 21.921 Zweispänner, 3756 Einspänner und 130.000 Fahrgäste befördert!

Die Stadtplanung beschäftigte sich in dieser Zeit mit dem Bau einer Straßenbahn. Für die Standseilbahn hätte dies aber kaum eine Konkurrenz bedeutet, da sie ja im Wesentlichen für den Gütertransport auf dem Steilabschnitt im Einsatz war. Der Erste Weltkrieg machte alle Straßenbahnpläne zunichte.

Tag für Tag rollten die beiden Wägelchen den Wendischen Berg rauf und runter. 1954 bekam die inzwischen verstaatlichte Einrichtung noch eine Grundüberholung mit neuen Schienen und zwei neuen Wagen. Doch die Motorisierung des Güterverkehrs setzte immer stärker ein und 1956 nannte die Stadt Zeitz eine Summe von jährlich 12.000 Mark als erforderlichen Zuschuss. Und Reparaturen und neuere Sicherheitseinrichtungen standen auch an…

Mitte 1959 stiegen die Gesamtverluste seit 1955 auf 264.000 Mark an. Ähnlich wie bei der Barmer Bergbahn sprach sich die Bevölkerung für den Erhalt der ältesten deutschen Standseilbahn aus. Es gab Proteste, aber immer weniger Pferdefuhrwerke rollten auf die Bahnwagen. Nach 82 Jahren Betrieb stand das Zugseil ab dem 13. Dezember 1959 für immer still. Die beiden Wagen erhielten in der örtlichen Eisengießerei noch eine letzte Verwendung, die Gleise verschwanden bis Ostern 1960.

Heutzutage gibt es einen Förderverein, der sich für den Neubau einer „Drahtseileisenbahn“ ausspricht. Die Trasse dafür existiert immer noch!

Michael Malicke / Foto: (Sammlung) Michael Malicke

KW16/2022 – Dresden: Škoda – simply clever ?

Guido KorffBild der Woche

Oft wird beklagt, dass Werbung für Automobile auf Straßenbahnen kontraproduktiv sei. Man solle darauf verzichten, wenn man zur Nutzung des Öffentlichen Nahverkehrs einladen wolle. Wir haben deshalb heute mal den seltenen Fall dokumentiert, dass eine Straßenbahn vermeintlich für eine andere moderne Straßenbahn wirbt. Ganz so einfach, wie es scheint, lässt sich das Motiv aber dann doch nicht erklären…

Bei dem hier abgebildeten Triebwagen 9115 der Prager Verkehrsbetriebe handelt es sich eindeutig um ein Produkt des tschechischen Herstellers Skoda Transportation. Das Unternehmen ist allerdings seit der politischen Wende unabhängig von der bekannten Pkw-Marke, deren Slogan wir im Titel zitieren.

Die Triebwagen-Baureihe gehört zur “Elektra”-Familie und wird in Prag als 14T geführt. Die Fahrzeuge sind vor allem an den markanten, von Porsche Design gestylten Fahrerkabinen zu erkennen. Allerdings war dieses Modell zum Zeitpunkt der Aufnahme (Mai 2016) schon nicht mehr neu, sondern gut zehn Jahre alt und hatte in Prag schon eine unrühmliche Karriere hinter sich. Risse an den Drehgestellkonsolen führten 2014 zur Abstellung aller 59 noch vorhandenen Wagen der Bauart. Mittlerweile konnten die Fahrzeuge aber nach Reparatur der Schäden wieder in den Liniendienst zurückkehren.

Träger der Werbung ist Triebwagen 2610 der Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB). Insgesamt 40 Fahrzeuge der Bauart NGT D8DD hat Bombardier in den Jahren 2006-2009 an die Elbe geliefert. Zwölf Wagen der Serie tragen die Namen von Dresdner Partnerstädten, darunter Tw 2610, der eine Verbindung nach Prag schlägt.

Und damit kommen wir der Sache näher: Unter dem Obertitel “Ausbilden für Europa” wirbt Tw 2610 für die Kooperation der DVB mit der Verkehrsschule Prag. Deren Namen ist in tschechischer Sprache neben dem 14T zu lesen; das stilisierte “D” (links im Kreis) steht für “Verkehr” (dopravni). Dahinter erkennen wir das berühmte Prager Burg-Panorama an der Moldau. Das Lehrinstitut ist etwas unterhalb einer Universität einzuordnen und vermittelt sowohl akademische Kenntnisse als auch technisch-praktische Fertigkeiten.

Dort lernt man sicher auch, Straßenbahnen wie die 14T zu reparieren – oder die Mängel schon in der Konstruktion gleich ganz zu vermeiden! Um diesen Nachwuchs für Skoda zu gewinnen, ist die Positionierung einer Skoda-Tram in der Werbung vielleicht ja doch “simply clever” ?

-gk- / Foto: -gk-

KW15/2022 – Wuppertal: Das Runde muss an das Eckige

Guido KorffBild der Woche

Bern 1954: Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft wird überraschend Weltweister. Trainiert wird sie von Sepp Herberger, der uns vor allem auch durch seine “punktgenauen” Fußballweisheiten in Erinnerung geblieben ist. Eine davon haben wir uns als Motto für das aktuelle Bild der Woche ausgeborgt und nur leicht verändert.

Wuppertal 1955: Auf der Talbahn verkehren die modernsten Straßenbahnwagen, die die Wuppertaler Stadtwerke (WSW) zu diesem Zeitpunkt zu bieten haben. Unser Bild gibt einen ungewohnten Blick auf das Elberfelder Stadtzentrum frei – genauer gesagt, auf die Kreuzung Hofkamp/Morianstraße mit einem Ausschnitt der Innenfläche des dortigen Postamtes. Modernste Fahrzeuge auf Schiene und Straße!

Der Fotograf löst genau zu dem Zeitpunkt aus, als ein Zug der Talbahn in Fahrtrichtung Westen die Straßenkreuzung passiert. Noch stehen große Teile der City in Trümmern. Nur das repräsentative Wohn- und Geschäftshaus rechts, in dessen Hintergrund der Karlsplatz in die Gathe mündet, ist bis heute dort anzutreffen. In der Ferne erkennen wir den Turm der Diakoniekirche in der Nordstadt.

Im Jahr 1953 hatten die WSW die ersten beiden Großraumtriebwagen für die Normalspur erhalten. Düwag lieferte zwei je 14 m lange Fahrzeuge mit unterschiedlicher Antriebstechnik. Wagen 1005 erhielt noch vier Motore mit je 50 kW, Wagen 1006 dann schon die neue Düwag-Technik mit Tandemantrieb, aber schwächeren Motoren (2x 89 kW). Diese beiden Wagen und die nachfolgenden Bahnen der gleichen Serie (bis Nr. 1020) wiesen die Wuppertaler Besonderheit der pedalgesteuerten, elektropneumatischen Kiepe-Schützensteuerung auf.

Unser Foto wird wohl im Hochsommer des Jahres 1955 entstanden sein. Zu dieser Zeit verkehrt die Linie 11, die bereits an den Endstationen Gabelpunkt und Weiherstraße Gleisschleifen besitzt, mit den “modernsten” – man sollte wohl eher sagen “neuesten” – Anhängern im Tal: Den KSW-Beiwagen Nr. 515 bis 537! Ende 1955 ist dann auch die Schleife in Schwelm fertig und diese modernsten Züge kommen zusätzlich auf der Linie 18 (Sonnborn-Schwelm) zum Einsatz.

Es ist die Zeit der “Nierentische”; rundliche Formen wie beim Straßenbahntriebwagen sind in Mode und lösen die eckigen Formen der früheren Jahrzehnte ab. Der KSW-Beiwagen ist also trotz seiner jungen Jahre dem Design nach ein Relikt einer überwunden geglaubten Zeitepoche!

Den Betrachter dürften aber auch die gefälligen, neuzeitlichen Lastkraftwagen der Bundespost – durchweg von der Marke mit dem “Stern” – erfreuen. Bei den Pkw dominiert Opel – damals noch ein führender Anbieter auf dem deutschen Markt; aber auch zahlreiche VW-Käfer und sogar ein Wagen aus dem Hause Borgward parken auf den noch zahlreichen Freiflächen. Die Morianstraße verläuft übrigens direkt hinter der Mauer des Posthofs; damals natürlich noch ohne Straßenbahnschienen in diesem Bereich.

Die Uhr an der Hauswand zeigt 12 Uhr 35. Vielleicht ist heute ein Samstag, an dem seinerzeit noch bis Mittag gearbeitet wird. Dafür spricht die Anzahl der parkenden PKW gegenüber, denn nennenswerte Wohnbebauung gibt es hier auch damals nicht. Später ensteht auf der freien Fläche der Neubau des Hertie-Warenhauses, das wiederum längst dem Elektronikmarkt Saturn weichen musste. Wahrscheinlich herrscht um diese Zeit noch Hochbetrieb in den Geschäften und Warenhäusern; die Läden schließen ja samstags schon um 14:00 Uhr.

Michael Malicke / Foto: Sammlung Michael Malicke

KW14/2022 – Linz: High-Tech im alten Gewand

Guido KorffBild der Woche

Als Wahrzeichen der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz ist der Pöstlingberg (539 m) auch über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Besucher finden dort oben die weithin sichtbare Wallfahrtskirche von 1748, die Märchenwelt in der Grottenbahn, den Zoo und einen großartigen Ausblick über die Stadt bis zu den Voralpen. Das beliebte Ausflugsziel sollte bis 2009, dem Jahr von Linz als „Europäischer Kulturhauptstadt“, an Attraktivität gewinnen. Ein Teilprojekt betraf auch die Zufahrt zum Berggipfel.

Erreichbar ist der Pöstlingberg seit 1898 mit der meterspurigen Pöstlingbergbahn. Sie gilt als die steilste und längste Adhäsionsbahn der Welt. Obwohl einige Teilstücke in der Altstadt von Lissabon mit 145 ‰ steiler sind, kann man am Pöstlingberg von einer kontinuierlichen Steigung (88 ‰) auf einer Länge von 2,9 km sprechen. Das steilste Teilstück weist immerhin eine Neigung von 116 ‰ auf.

Da die bestehenden Fahrzeuge der Pöstlingbergbahn mittlerweile in die Jahre gekommen waren und die Stadt Linz den Berg besser erschließen wollte, wurde beschlossen, bis 2009 die Pöstlingbergbahn umfassend zu modernisieren. Auf der Grundlage des österreichischen Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes, das einen barrierefreien Zugang zum öffentlichen Verkehr verlangt, wurden als Ersatz für die vorhandenen Fahrzeuge vier vierachsige Niederflur-Gelenkwagen angeschafft.

Im Zuge dieser Investition in Neufahrzeuge wurde dann beschlossen, die auf der Strecke verwendeten Keilkopfschienen durch heute gebräuchliche Vignolschienen auszutauschen. Gleichzeitig wurde die Spurweite von 1000 mm auf 900 mm verringert, um die bis dahin separate Pöstlingbergbahnstrecke an das Netz der Linzer Straßenbahn anzuschließen. Dadurch wurde eine Weiterfahrt der Pöstlingbergbahn vom alten Endbahnhof Urfahr bis zum zentralen Linzer Hauptplatz möglich.

Mitte 2006 war es dann soweit: Das österreichische Bundesdenkmalamt erteilte die Bewilligung zur Revitalisierung der Pöstlingbergbahn, so dass der Betreiber, die Linz Linien AG, den Umbau in Angriff nehmen kann. Als besondere Attraktion sollen aber auch drei jüngere Exemplare der historischen Bergbahnwagen (Nr. VIII, X und XI) an die neue Gleisanlage angepasst werden. Nach einer europaweiten Ausschreibung der Modernisierung der drei historischen Straßenbahnen und den Kauf von vier neuen Fahrzeugen im Retro-Look konnten im Februar 2007 dann die Aufträge vergeben werden.

Da das technische Konzept der zu modernisierenden historischen Fahrzeuge schon über 100 Jahre alt war, entsprachen sie nicht mehr den sicherheitstechnischen Anforderungen der heutigen Zeit. Durch den bereits erwähnten Umbau der Schienen mussten zudem die Zangenbremsen, die nur in Verbindung mit den Keilkopfbremsen funktionieren und die die Fahrzeuge bis dahin sicher gebremst haben, leider entfallen. Daher kam bei den historischen Fahrzeugen neben einer neuen Drehstrom-Antriebsausrüstung auch ein neues Bremssystem (Federspeicher und Magnetschienenbremse) zum Einsatz. Da die Untergestelle und die Fahrwerke komplett erneuert wurden, war im Unterbau ausreichend Platz, um zwei Unterflurcontainer mit je einem Drehstrom-Umrichter unterzubringen. Somit wird jede Achse über einen separaten Umrichter angetrieben. Ein zusätzlicher Wunsch der Linz Linien war die Einsetzbarkeit der revitalisierten Fahrzeuge im Zugverband. Im Linienbetrieb können somit zwei historische Fahrzeuge gekuppelt werden.

Die Aufarbeitung der Wagenkästen mit Erneuerung des Innenraum und vor allem der beiden Fahrerstände erforderte von den beteiligen Firmen Heiterblick in Leipzig und Vossloh Kiepe (heute Kiepe Electric) in Düsseldorf einige Anstrengungen, da das Bundesdenkmalamt die Beibehaltung der historischen Optik forderte. Nach einigem Hin und Her und vielen Projektverzögerungen konnte daher erst im November 2009 der erste Triebwagen (Nr. VIII) nach Linz überführt werden (Die Umstellung der Pöstlingbergbahn auf die neue Spurweite war termingerecht Ende Mai 2009 erfolgt, es verkehrten aber vorerst nur die neuen Wagen).

Bei der sofort begonnenen dynamischen Inbetriebnahme stellten sich jedoch rasch Probleme ein: Die optischen Sensoren für die Referenzdrehzahl konnten die Erwartungen nicht erfüllen. Hinzu kamen Probleme mit der Kupplung zwischen Motor und Getriebe, weshalb eine dreiwöchige Zwangspause eingelegt werden musste. Doch noch vor Weihnachten 2009 konnten notwendige Messungen und die ersten Fahrten durch Linz stattfinden. Die ersten Bergfahrten auf den Pöstlingberg fanden dann am 25. Januar 2010 bei tiefwinterlichen Bedingungen statt. Unser “Bild der Woche” zeigt den Triebwagen VIII unmittelbar nach der Rückkehr von diesen ersten Bergfahrten im Talbahnhof der Pöstlingbergbahn am Abend des 25. Januar 2010.

In der folgenden Zeit wurde der Antrieb optimiert und die Fahrten am Berg wurden zur Routine. Als dann der zweite Triebwagen (Nr. X) eintraf, konnte das Fahren im Zugverband getestet werden. Nur die bereits erwähnten optischen Sensoren zur Ermittlung der “Referenzdrehzahl” machten weiterhin Schwierigkeiten. Diese Sensoren sollten unabhängig vom Antrieb die Fahrgeschwindigkeit entlang der Strecke messen und vor dem Durchdrehen oder Durchrutschen der Räder warnen. Da sie nicht zufriedenstellend verbessert werden konnten, musste stattdessen die Antriebssoftware komplett umgeschrieben werden. In unzähligen Nächten wurde umprogrammiert und getestet, bis dann Ende März 2010 die endgültige Antriebssoftware zur Verfügung stand.

Mittlerweile kam wieder der Frühling ins Land und der Pöstlingberg zeigte sich von seiner schönsten Seite. Nach dem mit der Zulassungsbehörde abgestimmten Testplan mussten bei jedem Triebwagen zahlreiche Bremsmessungen durchgeführt werden. Auch hierbei traten Probleme auf, die aber letztendlich gelöst wurden. Weiterhin wurde bei der Aufarbeitung der Wagenkästen die unterste Stufe der Einstiegstreppe verbreitert, um die Sicherheit der Fahrgäste zu verbessern. Allerdings konnte dadurch die Hüllkurve nicht mehr eingehalten werden. Somit mussten nun erst noch die Bahnsteige geändert werden, bevor dann im August 2010 die Betriebsbewilligung von der Zulassungsbehörde erteilt wurde und der Fahrgastbetrieb mit über einem Jahr Verspätung aufgenommen werden konnte.

Die Pöstlingbergbahn verkehrt aktuell im 30-Minuten-Takt, an ausgewählten Feiertagen und an Sonntagen im Sommer verdichten die modernisierten Wagen das Fahrintervall sogar auf 15 Minuten.

Ein Tipp zum Schluss: Besuchen Sie den Pöstlingberg, aber versäumen Sie nicht den Besuch der sog. “Grottenbahn”. Obwohl eindeutig eine Attraktion für Kinder, strahlt das Fahrgeschäft einen ganz besonderen altmodischen Charme aus!

Carsten Kossow / Foto: Klemens Giersch

KW13/2022 – Toronto: Rush hour on Queen Street !

Guido KorffBild der Woche

Fünfzehn PCC-Wagen sind diesmal auf unserem “Bild der Woche” zu erkennen. Das Motiv erinnert fast ein wenig an das berühmte Foto mit den fabrikneuen ÜHIIIs-Obussen in Solingen-Hästen. Standort des Fotografen ist die Queen Street an der Ecke Bay Street, links außerhalb des Bildes liegt das Rathaus der Stadt.

Es ist 05:30 Uhr an einem Morgen im Mai 1974. Die Straßenbahnstrecke entlang der Queen Street ist auch heute noch die längste und am stärksten frequentierte Linie in Kanadas größter Stadt (ca. 2,7 Mio. Einwohner). Der öffentliche Nahverkehr in der Innenstadt mit ihrem schachbrettartigen Grundriß – und entsprechendem Liniennetz – wird von der Straßenbahn dominiert – nur eine der vier Metro- und Stadtbahnlinien dringt in das Zentrum bzw. zum Hauptbahnhof vor.

Die Straßen sind im Laufe der Jahre auch nicht breiter geworden, folglich verkehren die Bahnen immer noch überwiegend straßenbündig. Lediglich vom amerikanischen Prinzip der in dichtem Takt verkehrenden Vierachser – dem Grundgedanken der PCC-Konstruktion – hat man sich über die Jahre verabschiedet. Selbst auf unserem Bild erkennt man bei genauem Hinsehen schon PCCs, die paarweise im Einsatz stehen.

Aktuell haben fünfteilige “Flexity”-Triebwagen ihre vier- und sechsachsigen Vorgänger abgelöst. Obwohl Bombardier ein kanadisches Unternehmen ist bzw. war, plagten den Hersteller aber auch hier Qualitäts- und gravierende Lieferprobleme. Andererseits lief der Verkehrsbetrieb TTC (Toronto Transit Commisssion) selbst auch der Modernisierung hinterher: Die neuen Niederflurwagen verkehren auf verschiedenen Linien mit Stangenstromabnehmern, weil die rechtzeitige Anpassung der Fahrleitung versäumt wurde.

Eine weitere Kuriosität stellt die Spurweite von 1.495 mm dar, die man angeblich gewählt hat, um den Eisenbahnen das Durchqueren der Stadt auf öffentlichen Straßen zu erschweren. Das ist so abwegig nicht, denn diese “Ortsdurchfahrten” waren in nordamerikanischen Siedlungen früher durchaus üblich!

Wer die US-amerikanische Straßenbahn-Historie kennt, mag es kaum glauben: Mit 75 km Streckenlänge und elf Linien liegt die Straßenbahn in Toronto heute an der Spitze der Betriebe auf dem amerikanischen Kontinent! Es spricht außerdem einiges dafür, dass sich Toronto auf diesem Rang behaupten kann, denn es sind einige neue (Stadtbahn-)Strecken geplant.

Natürlich hat sich auch das Erscheinungsbild der Queen Street in den letzten 50 Jahren gewandelt; moderne Architektur und deutlich höhere Bauten prägen die moderne Stadt. Dennoch gibt es auch historische Monumente. Im drittletzten höheren Gebäude auf der rechten Seite aus dem Jahr 1896 befindet sich der “Flagship”-Store des Kaufhaus-Konzerns “Hudson’s Bay”. Hervorgegangen aus einem Monopol für den Pelzhandel in den Pionierjahren, entstand daraus ein Unternehmen, das Lebensmittel und Gebrauchsgüter in die entlegenen Gegenden brachte. Damit wurde “The Bay” zu einer kanadischen Institution. In Deutschland trat das Unternehmen von 2015 bis 2018 als vorübergehender, aber glückloser Eigentümer der “Kaufhof”-Warenhäuser in Erscheinung, die dann an Karstadt weitergereicht wurden.

Dass der oben erwähnte Name der Kette einem bekannten Internet-Marktplatz als Anregung gedient haben könnte, ist aber nur ein von Ihrem Chronisten frei erfundenes Gerücht.

-gk- / Foto: Ted Wickson / JBC Visuals (Sammlung –gk-)

KW12/2022 – Payerbach: Beauty and the Beast (?)

Guido KorffBild der Woche

Über Geschmack lässt sich streiten, aber das Design des schwarzbraunen Gefährts im Bild links dürfte unstrittig misslungen sein. Wir zeigen dieses Vehikel auch nur zum Vergleich mit unserer Hagener Lok (vgl. Bild der Woche für KW04/2022), die dagegen richtig elegant wirkt.

Schauplatz der Szene ist der Bahnhof Payerbach an der Semmeringbahn zwischen Wien und Graz. Von dort verkehrt(e) eine elektrische Lokalbahn nach Hirschwang und weiter zur Talstation der Raxseilbahn, von der wir hier rechts eine ehemalige Gondel sehen.

Die Raxseilbahn war bei ihrer Eröffnung die erste Seilschwebebahn Österreichs. Gebaut wurde sie von dem damals weltweiten Branchenführer Adolf Bleichert & Co. in Leipzig. Ihre beiden Gondeln überwinden 1.018 m Höhenunterschied. Ungewöhnlich war dabei eine “Sommergondel” mit einer Reling und einem Stoffdach statt festen Wänden. Die Seilbahn zur Raxalpe wurde schon bald von der Wiener Bevölkerung als beliebtes Ausflugsziel angenommen.

Die schmalspurige Lokalbahn mit der “bosnischen Spurweite” von 760 mm ist nur wenige Jahre älter. Sie diente ab 1918 als Materialbahn für eine Papierfabrik in Hirschwang, das etwa 5 Km von der Semmeringbahn entfernt liegt. Mit dem aufkommenden Bergtourismus wurde sie in den folgenden Jahren für den Personenverkehr ausgebaut und 1927 um einen Kilometer zur Raxseilbahn verlängert. Hier beginnt auch das landschaftlich reizvolle “Höllental”, nach dem die Lokalbahn benannt wurde.

Von den als “fahrbare Gartenhäuser” bespöttelten E-Loks gab es bei der Eröffnung drei Stück (E1 – E3), die gebraucht (Baujahr 1903) von der Baustelle des Karawankentunnels erworben wurden. Das seltsame Dach hat man ihnen allerdings erst in Hirschwang verpasst. Eine Schwestermaschine (E1) des hier abgebildeten Museumstücks verkehrt noch heute regelmäßig auf der jetzigen Museumsbahn und soll damit die älteste betriebsfähige schmalspurige E-Lok Europas sein!

Schon 1963 wurde die Lokalbahn als nicht mehr betriebssicher für den Personenverkehr erklärt und in der Folge die Beförderung von Fahrgästen eingestellt. Der Güterverkehr hielt sich noch bis 1982, zuletzt aber nur noch mit Dieselloks betrieben.

Glücklicherweise gründete sich 1977 ein Verein von Eisenbahnfreunden, der die Strecke erhalten wollte und anfangs mit einer bunten Mischung von Schmalspurfahrzeugen befuhr. Im Laufe der Jahre gelang es dann, die seinerzeit an die Zillertalbahn veräußerten Beiwagen zurückzukaufen und aus einem davon bis 2005 einen Triebwagen zu rekonstruieren. Einige Originalteile – u. a. die Drehgestelle – konnten ebenfalls in den Triebwagen integriert werden. Besonderes Detail: Die Fußbodenhöhe des Triebwagens liegt bei beachtlichen 1.040 mm! Dies ist dem geringen Raum für die Antriebsanlage in den schmalen Drehgestellen geschuldet.

Heute teilen sich der wunderschöne Triebwagen und die E1 den Personenverkehr mit einer Heeresfeldbahn-Diesellok. Über den Triebwagen werden wir sicher bei anderer Gelegenheit Weiteres berichten.

PS: Wer aus der Farbkombination der Seilbahn bestimmte Schlüsse zieht, muss in diesen Tagen nicht falsch liegen, aber der Fotograf hatte zum Zeitpunkt der Aufnahme – 2013 – keine entsprechenden Absichten!

-gk- / Foto: -gk-

KW11/2022 – Wuppertal: Die “virtuelle” Gleisverschlingung

Guido KorffBild der Woche

Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Straßenbahn-Wagen, der einen Linien-Endpunkt ansteuert, von dort auch wieder zurückkehren muss. Früher oder später wird ihm aber ein Wagen entgegenkommen, der die gleiche Endstelle zum Ziel hat. In dem Moment müssen die beiden Fahrzeuge irgendwie aneinander vorbeikommen.

Die einfachste Lösung dieser Aufgabenstellung ist die Verlegung von zwei Gleisen – für jede Fahrtrichtung ein eigenes. In der Anfangszeit der Straßenbahn war man allerdings sparsam und verzichtete weitgehend auf das zweite Gleis, denn bei einem festen Fahrplan reichten in bestimmten Abständen angelegte Ausweichen völlig aus.

Mit zunehmendem Autoverkehr wurde die Einhaltung der vorgegebenen Fahrzeiten allerdings immer schwieriger, so dass jetzt doch oft in das zweite Gleis investiert wurde. Wenn der Platz nicht auf ganzer Länge zur Verfügung stand, wurden die beiden Richtungsgleise auch schon mal in zwei getrennten Straßenzügen angelegt.

Aber auch auf durchweg zweigleisigen Strecken blieben manchmal kürzere eingleisige Abschnitte übrig (so z. B. bei der Durchfahrt durch das Nauener Tor in Potsdam). Wenn man sich an solchen Stellen die Kosten für Einbau und Unterhalt von zwei Weichen sparen möchte, wählt man eine “Gleisverschlingung”. Dabei wird so getan “als ob” und mindestens eine Schiene liegt jeweils zwischen den Schienen der Gegenrichtung.

Charakteristikum einer Gleisverschlingung ist demnach, dass zwei Straßenbahnen an genau dieser Stelle einander nicht passieren können. Dazu bedarf es aber noch nicht einmal einer technischen Überlagerung der Gleise, die Überlappung der Lichtraumprofile reicht dafür schon aus.

Ein Beispiel hierfür sehen wir auf unserem “Bild der Woche” in der Elberfelder Südstadt, angelegt im Zuge der Linie 23. Der Straßenbahnzug kommt aus Ronsdorf und biegt gerade aus der Straße “Haubahn” in die Dessauer Straße ab. Das Gleis in Gegenrichtung schwenkt leicht rechts in die Vereinsstraße, um sich am südlichen Ende der Distelbeck in der Ronsdorfer Straße gemeinsam mit dem anderen Gleis als zweigleisige Strecke Richtung Lichtscheid und Ronsdorf fortzusetzen. Im Rücken des Fotografen wird der Zug nach etwa 300 m den Elberfelder Bahnhof erreichen, allerdings mit einem kurzen zwischengeschalteten eingleisigen Abschnitt bis hinter die Brücke über die Staatsbahnstrecke. Wir finden also auf kleinem Raum gleich mehrere der zuvor genannten Gleiskonfigurationen vor.

Das Foto entstand am 24. April 1954; die Kriegsschäden sind noch unübersehbar. Die Linie 23 verkehrte auf diesem Abschnitt noch bis zum 01. Juni 1954 und zählt damit zu den ersten stillgelegten Linien/Strecken des Wuppertaler Meterspurnetzes.

-gk- / Foto: Ernst-Julius Wolff (Sammlung –gk-)